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Donnerstag, 30. April 2015

Ora et labora in Düdingen


Südwestlich von Düdingen FR quert die A12 auf einer Brücke den Schiffenensee. Unter der Brücke ist eine alte Einsiedelei zu besichtigen. Als in ihr Eremiten wohnten, gab es die Autobahn noch nicht. Und auch nicht den Schiffenensee. Er wurde erst in den 1960er-Jahren aus der Saane gestaut. Gestern besuchten wir auf einer dreistündigen Rundwanderung den Ort im steilen Sandsteinhang über dem See. Gut 120 Meter lang ist die Flucht von Kavernen: Stall, Keller, Altarraum, Turm, Küche, grosser Saal, Kammer, Werkstatt und so weiter. Türen und Treppen verbinden das alles, dazu gibt es im Freien eine Gartenterrasse. Das Gros der Räume hoben zwischen 1680 und 1708 zwei Eremitenbrüder aus, tätige Andacht sozusagen. Die Einsiedelei St. Magdalena muss man gesehen, begangen, erlebt haben. A propos: Als ich wieder zuhause war, hörte ich im Radio, dass die Einsiedlerin in der Solothurner Verenaschlucht nur noch beten und seelsorgen will; die Haus-, Garten- und Unterhaltsarbeit will sie abgeben. Dabei heisst doch das berühmte Motto der Benediktiner "ora et labora", bete und arbeite.

Mittwoch, 29. April 2015

Wasser

Kürzlich, als ich in Zürich das Bauschänzli passierte und das Seetaxi in seiner Winterverkleidung im Limmatwasser dümpeln sah, dachte ich, dass ich gern mal mit ihm fahren würde. Heute geht es vorerst zu einem ganz anderen Gewässer, einem der jüngsten Stauseen der Schweiz, dem erst gut fünfzigjährigen Schiffenensee. Was das soll, wo wir starteten, wo wir durchwanderten und was wir sahen: demnächst, wohl schon morgen, in diesem bewegten Blog.

Dienstag, 28. April 2015

Berns Thron

Als ich kürzlich im Bernischen Historischen Museum den Thron des Berner Schultheissen sah, des obersten Berner Herrn von einst, realisierte ich wieder einmal, wie wenig sich das Ancien Régime hierzulande von den Monarchien der Länder rundum unterschied. Was für ein aggressiv herrschaftliches Ding. Diese Löwentatzen! Verfertigt hat den Thron 1735 einer der grossen Bildhauer von damals, Johann Friedrich Funk I. - laut der Museumsplakette handelt es sich übrigens um einen der wenigen Throne, die die französische Revolution überlebt haben und also von uns betrachtet werden können.

Montag, 27. April 2015

Telefonnummer? 30!

Kurz vor Chli Morgarten: Rückblick auf das Hochmoor Richtung Biberbrugg.
Später geht es abwärts Richtung Ägerisee. Links der Mitte der Chaiserstock.
Telephon 30? Plakette an einer Scheune
im Hochmoor bei Rothenthurm.
Das war eine beschwingte Wanderung am Samstag. Sie kam mir am Ende - und kommt mir auch heute aus der Erinnerung - einigermassen kurz vor. Und doch dauerte sie 5 1/2 Gehstunden, gingen wir 22 Kilometer und stiegen dabei 380 Meter auf und 480 ab. Woher die gefühlte Leichtigkeit? Am Anfang schien die Sonne, und nachher regnete es doch nicht, wie manche Prognosen angedeutet hatten; einzig ganz am Schluss tröpfelte es. Zur guten Laune bei trug auch der Frühling im Hochmoor zwischen Biberbrugg, wo wir gestartet waren, und Rothenthurm: Butterblumen, Anemonen, Schlüsselblumen, so weit das Auge reichte. Nach dem Aufstieg zum Chli Morgarten und dem Abstieg zum Morgarten-Denkmal am Ägerisee assen wir in Grunder's Buechwäldli, einem Fischrestaurant. Hernach wechselten wir auf die recht stille Südseite des Sees und wanderten bis Unterägeri - eine feine Sache von A bis Z.

Sonntag, 26. April 2015

Mmmm, frische Ableli

Der Traiteur Weber gleich bei der Station Zollikerberg ist ein zwar teurer, aber auch guter Laden, in dem ich gern ab und zu das eine oder andere kaufe. Das Schild, das in den letzten Tagen vor dem Laden stand, scheint mir dennoch ein wenig kurios. War da ein Legastheniker am Werk? Die  Fischsorte heisst richtig Albeli.

Samstag, 25. April 2015

Van Anda, das Journalistengenie

Heute geht es in die Gegend zwischen Biberbrugg und dem Ägerisee, mein Wiedereinstieg ins Wandern nach zwei krankheitsbedingt ausgefallenen Samstagen. Ich hoffe, der Föhn hält durch, bis wir fertig sind. Und ich hoffe, ich halte durch gegen den Resthusten und eine generelle Schwadrigkeit. Morgen will ich dann ein Buch fertiglesen, "The Kingdom and The Power" von Gay Talese aus dem Jahr 1966. Es ist grossartig geschrieben und zeichnet die Geschichte der New York Times von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Figur um Figur ist noch machtgieriger, intriganter, genialer - die Porträts der unglaublichsten Gestalten reihen sich, die mit Präsidenten per Du waren und mit ihren Stories Geschichte schrieben. Hier nur ein Beispiel: Carr van Anda, Chefredaktor von 1904 bis 1932. Sein Blick war so starr und durchdringend, dass man ihn "Todesstrahl" nannte. Nicht nur Journalist war er, sondern auch ein Gelehrter und Genie der Mathematik. Vier Müsterchen:
  • In einem Artikel über Einsteins Vorlesungen fand er heraus, dass der Jahrhundertphysiker sich bei einer Gleichung verrechnet hatte.
  • Auf einer Fotografie, die ein 4000 Jahre altes Grab zeigte, las er den Hieroglyphentext und fand, dass die Art, wie der Text Vorgänge von damals darstellte, seltsam sei (er beherrschte die altägyptische Sprache). Auf komplizierten Wegen führte das zur Erkenntnis führender Spezialisten, dass der junge Pharao Tutenchamon ermordet worden war.
  • Stets ärgerte sich Van Anda über die Behauptung, die Titanic könne nicht sinken. Als in einer eisigen Nacht deren Funkgerät nach einem Notruf verstummte, durchschaute er sofort, was geschehen war; die New York Times meldete dann als erste Zeitung weltweit die Katastrophe. Andere Blätter druckten vorerst die Behauptung der Schifffahrt-Gesellschaft nach, das Schiff habe Probleme mit einem Eisberg, sei aber okay.
  • Im ersten Weltkrieg beschaffte sich der Chefredaktor jede nur verfügbare Militärkarte, zog seine eigenen Schlüsse und ahnte meist im voraus, wo die nächste Offensive stattfinden würde. Deshalb waren die Reporter der Times meist die ersten, die berichten konnten. Van Anda schickte sie an die richtigen Orte.

Freitag, 24. April 2015

Es muss nicht immer Computer sein

Was das für ein Fresszettel ist mit Zahlen? Nun, sagen wir zunächst, dass man hinten meinen Bürotisch sieht, Holz. Der Zettel liegt seit vielen Wochen auf dem Tisch - er hilft mir bei der Arbeit an meinem nächsten Buch. Kein Wanderbuch soll es werden, sondern ein Ausflugsbuch. Genaueres zum Konzept möchte ich im Moment nicht sagen - aber jedenfalls wird das Buch aus einzelnen kleinen Texten bestehen und gebe ich mir Mühe, möglichst oft einen dieser Kleintexte zu schreiben. Habe ich einen fertig, notiere ich seine Nummer auf den Zettel und sehe mit Wohlgefallen, wie wieder eine Lücke gefüllt ist. Gut 170 Texte sollen es werden, gemacht sind derzeit 125; allerdings kommen die schwierigeren Sachen gegen Schluss. Ich rechne, dass das Buch im Herbst oder auf Weihnachten kommt.

Donnerstag, 23. April 2015

Kandersteg by Ogi

Vorgestern, 17 Uhr, Kandersteg: Ogi begrüsst.
Grabstein für Ogis Urgrossvater an
der Wand der reformierten Kirche.
Am Dienstag war Buchvernissage in Kandersteg, Fritz Hegi stellte seinen neuen Wanderführer vor. Als Stargast geladen war Adolf Ogi, 72, der auf einer einstündigen Route sein Dorf präsentierte und allerbestens unterhielt. Der alt Bundespräsident berichtete von den Lawinenverbauungen Fisi, an denen sein Vater mitgearbeitet hatte. Er nannte das Schulhaus "meine Universität" und erzählte vom Lehrer, bei dem man jeden Morgen erstens betete, zweitens sang und drittens politisierte. Und er liess Staatsbesuche wiederaufleben, den von François Mitterrand etwa, der zu ihm spontan gesagt habe: "Je veux voir votre papa et votre mère." Man lernte viel mit Ogi, man lachte und erfuhr doch auch von den Problemen des Ortes, etwa von der Hotellerie, in der einige Betriebe zu kämpfen haben.

Zur Führung gehörte ein Besuch in der reformierten Kirche von Anfang des 16. Jahrhunderts. Ogi hatte den eben abgetretenen Dorfmetzger Hans Schüpbach herbeiorganisiert, der auf der Orgel virtuos drei Lieder spielte. Er sei in dieser Kirche getauft, konfirmiert und getraut worden, erklärte Ogi. Draussen an der Kirchenwand sei sein Urgrossvater begraben, der als Co-Führer für vier Engländer 1860 einer der Erstbesteiger der Blüemlisalp war. Ganz nah sei auch sein Sohn Mathias beerdigt, der 2009 an Krebs gestorben war. In diese Kirche sei er, Ogi, auch gekommen, wenn er im Bundesrat Probleme gehabt habe. "Ich sass dann einfach nur eine Zeitlang still da."
Ogi in der Kirche, wo er getauft, konfirmiert und getraut wurde.

Mittwoch, 22. April 2015

Meyer und seine Stollen

Letzte Woche fuhr ich nach Aarau. Dort existiert im Untergrund ein frühindustrielles Stollensystem von 1700 Metern Länge. Einen Bruchteil des "Aufschlusses Meyerstollen" kann man besichtigen, regelmässig gibt es Termine. Im Bahnhof Aarau gehts es ins dritte Untergeschoss. Eine Tür, dahinter eine längliche, gewundene Kaverne. Auf ihrer linken Seite Infotafeln, auf der Rechten nacktes Gestein; "Aufschluss" bezeichnet ja in der Geologie  eine Stelle, an der normalerweise verhülltes Gestein zu Tage tritt. An zwei Orten gehen von der Kaverne enge Stollen nach rechts ab. Der erste ist sehr kurz, der zweite lang. Man fasst einen Helm, tappt abwärts, duckt sich dabei, die Decke ist nah, es feuchtelt. Nun geht es eine kurze Zeit vorwärts. Schliesslich ein Geländer, Ende der Wanderung.

Anlegen liess das Stollensystem von 1700 Metern Länge der Industrielle Johann Rudolf Meyer Sohn ab 1791. Er wollte zum einen seine Villa entwässern. Zum anderen verwendete er das frische Wasser aus dem Untergrund für die Seidenband-Herstellung. 1807 baut man ein Wasserrad ein, später eine Turbine. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Nutzung eingestellt. Dass die Stollen heutzutage für Publikum geöffnet sind, hat mit dem Neubau des Bahnhofs Aarau zu tun. Einer der Stollen wurde dabei angeschnitten. Die SBB machten dies gut, indem sie Hand zur historischen und touristischen Erschliessung boten und das Stück Bahnhof-Untergrund der Stadt abtraten.

PS: Morgen ein Eintrag zu Adolf Ogi und seiner Dorfführung in Kandersteg.

Dienstag, 21. April 2015

Wanderfritz und Adolf

Adolg Ogi im Jahr 2000.
(Wikicommons/ Tom)

Mein Dienstag beginnt so richtig mit einer Stunde Einzelpilates um halb acht. Danach fliege ich aus: Zuerst Kaffee mit einer lieben Freundin in Bern. Dann gegen Mittag Weiterfahrt nach Frutigen und Besichtigung des Tropenhauses. Und schliesslich um fünf Buchvernissage in Kandersteg. Wanderfreund Fritz Hegi hat seinen Führer "Wandern täglich" aktualisiert und zwölf neue Routen hinzugefügt; die erneuerte Version nennt sich "Wanderfritz zwei". An der Vernissage tritt als Stargast alt Bundespräsident Adolf Ogi auf, er wird auf einem Rundgang sein Kandersteg zeigen. Nicht übel, das Programm, oder? Gegen elf werde ich wieder in meinem Zollikerberg eintreffen und ins Bett sinken.

PS: Heute kann man in der Zeitung von mir eine Seite über Tiergeräusche in Zürich lesen. Es geht um blasende Bachen, schreckende Rehe, aufbaumende Pfauen, um überlaut miauende volltaube Büsis, schnaubende Igelweibchen in der Brunft und spottende Rabenvögel.

Montag, 20. April 2015

Machs na!


Selten dringt einem abseits von Literatur und offiziellem Schrifttum eine Stimme aus einem weit zurückliegenden Jahrhundert derart persönlich und emotional ans Ohr wie die von Erhart Küng – es ist, als lache er einem zu, als höre man ihn reden. Oder ist es doch ein anderer, der zu uns spricht? Küng war Deutscher, wurde 1420 in Westfalen geboren, lernte Steinmetz und brachte es in dieser Kunst zu Grösse. In Bern liess er sich nieder, arbeitete am Münster, wurde 1483 zum Münsterwerkmeister auf Lebzeit ernannt. Von ihm stammt, wird angenommen, die Inschrift auf einer Sandsteinplatte an der Nordflanke des Münsters; es handelt sich übrigens um eine Kopie, das Original findet man im Bernischen Historischen Museum. "Machs na" steht auf der Platte in verschnörkelter, schwer lesbarer Schrift. Der Stolz eines Meisters in zwei Silben und Wörtern konserviert in alle Ewigkeit.

Ich war letzte Woche im Bernischen Historischen Museum und genoss das sehr. Mindestens zwei weitere Blogeinträge müssen und werden folgen

Sonntag, 19. April 2015

Die Vorderländer Zimmerschützen

Kürzlich erzählte ich in meiner Wanderkolumne vom Restaurant Urwaldhaus im Weiler Robach in Rehetobel AR. Das Urwaldhaus hiess die längste Zeit Bären. Dann kam eine Wirtin, die ihrem Haus einen abenteuerlichen Ursprung herbeifabulierte und zum Besten gab, die Balken stammten aus dem Dschungel; so kam es zu dem neuen Namen.

Im Urwaldhaus gibt es eine einmalige Einrichtung, nämlich eine Zimmerschützenanlage. Der Brauch des Präzisionsschiessens in einem Restaurantsäli (neun Meter Distanz, Stutzen) war einst im Appenzeller Vorderland weit verbreitet, heute existieren aber nur noch wenige Vereine. Er enstand, weil die normalen Schiessstände in dieser schneereichen Gegend im Winter nicht benutzbar waren. Und gleichzeitig gelüstete es die Leute im 19. Jahrhundert nach Unterhaltung und Geselligkeit. Der Vorderländer Schriftsteller Peter Eggenberger erzählt* in einer Geschichte, wie es damals zuging. Kostprobe: «Wenn amel im Sääli inn gschosse worde-n-ischt, häd de Zaager vorn bi de Schiibe henderem Blatt vommene ommgleite Tisch gwartet, bis di aane gkhört hand mit Schüüsse.»

* Was das für ein Dialekt ist? Kurzenberger Dialekt, eine Besonderheit des Vorderlandes. Ich habe einige Verwandte in Wolfhalden, die auch so reden. Und vor allem habe ich noch meinen Grossvater im Ohr, ebenfalls aus Wolfhalden. Ich will nächstens einen Eintrag zu diesem Dialekt bringen.

Samstag, 18. April 2015

Paula und Jenny und ihr Jahrhundert

Gewandert wird auch dieses Wochenende nicht; ich will zuerst meine Erkältung ganz kurieren, zu der in den letzten Tagen ein terroristisches Ohrenweh gehörte. Und heute geht es ohnehin zu einer Urnenbeisetzung ins Appenzellische. Mitreisen darf der Roman meines ehemaligen Tagikollegen Daniel Suter, den ich eben knapp noch kennenlernte, bevor er 2009 einer Massenkündigung zum Opfer fiel. Ich mag eigentlich keine derart fetten, manisch bis an den Rand bedruckten Bücher; dieses hat 750 Seiten, also 900 oder so in einem normalen Umbruch. Je mehr ich lese, desto besser finde ich das Buch freilich. Erzählt wird einigermassen parallel die Geschichte zweier Frauen. Paula Ahrons kommt 1899 als Einwandererkind von Berlin nach Zürich, muss später als junge Frau ihr Studium aufgeben, weil die Familie verarmt, und wird Sekretärin. Eine überzeugte Sozialistin auch. Jenny Gass wiederum wächst behütet auf als Tochter eines Basler Privatbankiers und heiratet als junge Erwachsene einen Seidenband-Fabrikanten, der sich allerdings als gequälte Seele und Quartalstrinker herausstellt. Was beide Leben verbindet: die grossen Krisen des 20. Jahrhunderts, durch die die Figuren gehen müssen. Jetzt gerade ist - ich bin am Ende des ersten Romandrittels angelangt - der erste Weltkrieg ausgebrochen. Doch, ich kann "Die Unvergleichlichen" (edition 8) empfehlen, werde den Rest lesen und wohl auch etwas darüber schreiben.

Freitag, 17. April 2015

Der Blindhans und sein Steg


Der neue Blindensteg über die Töss südwestlich von Dättlikon ZH.
Der blinde Hans Rebmann mit seiner Enkelin.
Was für eine Biografie! Hans Rebmann wurde 1499 in Wigoltingen TG geboren, besuchte in Waldshut die Lateinschule, wurde in Konstanz zum Priester geweiht, bekleidete verschiedene Priesterstellen, trat in der Reformation zur neuen Konfession über. 1525 unterstützte er den Aufstand der Klettgauer Bauern gegen den Grafen von Sulz. Er wurde gefangengenommen und auf der Küssaburg im grenznahen Deutschland - kenne ich von einer früheren Wanderung - mit einem Löffel geblendet. Zwingli sorgte dafür, dass er eine Pfarrstelle in Lufingen an der Töss bekam (Lufingen liegt nah beim heutigen Flughafen Zürich). Das Problem war, dass Rebmann zwischen Dättlikon, dem Weinbauernnest unter dem Irchel, und Lufingen oft die Töss queren musste. Er liess auf eigene Kosten einen Holzsteg bauen, alsbald "Blindensteg" genannt. Dieser wurde erst in unserer Zeit, vor fünf Jahren, durch ein 38 Meter langes Stahlbeton-Ding ersetzt. Ein Kupferstich  aus dem 17. Jahrhundert stellt den greisen Rebmann an der Hand seiner Enkelin dar; im Hintergrund dürfte der Steg zu sehen sein. Wir gingen am Ostersamstag über den Steg, als wir von Dättlikon nach Kloten hielten. Eine Tafel erzählt dort vom "Blindhans", wie er genannt wurde, und zeigt den Stich.

Donnerstag, 16. April 2015

Poesie und Delirium im Limmattal

Gestern Besuch im Bruno Weber Park am Hang oberhalb von Dietikon und Spreitenbach. Der Künstler, 1931 bis 2011, ein lebenslänglicher Maniker, schuf sich unter kreativer Missachtung zonenrechtlicher Bestimmungen ein Gesamtkunstwerk, sein persönliches mythologisches Set, einen Kosmos mit gewaltigen Giraffen- und Spinnenfiguren, bizarren Hybridgeschöpfen, klauenfüssigen Picknickstühlen, einer aus Drachenwesen zusammengesetzten Rundbrücke so hoch wie ein altrömischer Aquädukt. Das Betriebskonzept und den Businessplan lieferte der Mann nicht mit, der Park schlägt sich daher mit stiftungsrechtlichen und anderen juristischen Ungereimtheiten sowie Geldproblemen herum und schien einmal ganz schliessen zu müssen; wie er auf lange Frist betrieben werden kann, ist nach wie vor unklar. Als Besucher ist man nie ganz sicher, ob nicht das eine oder andere Exponat marode ist und eventuell zusammenbrechen und einen verschütten könnte; manches Ding bräuchte dringend einen Materialcheck und eine Auffrischung. Aber faszinierend ist der, sagen wir mal, Trip schon. Webers Park ist: LSD-Tarantula-Fantasie. Angkor Wat und Dschungelcamp. Hundertwasser-Farbexplosion im Widerstreit mit H.R. Giger-Alien-Düsternis. Erich-von-Däniken-Götterastronauten-Parade und Totempfahlland. Nachempfindung präkolumbischer, schwarzafrikanischer und pharaonischer Skulpturentraditionen. Mad-Max-Spielplatz mit Schrottappeal. Altes Haus von Rocky Docky und Villa Kunterbunt, extraterrestrischer Zoo und kollektives Unbewusstes zum Begehen. Poesie und Delirium mischen sich im Limmattal.

Mittwoch, 15. April 2015

Mömpelgard

Schloss Montbéliard. (Wikicommons)
Ziemlich nah an der Schweiz liegt im französischen Departement Doubs die alte Stadt Montbéliard. Vier Jahrhunderte lang gehörte sie zum Hause Württemberg und hatte in dieser Zeit auch einen deutschen Namen: Mömpelgard. Man stellt sich vor, wie es damals zu diesem holprigen Zweitnamen kam. Irgendein schwerhöriger Württemberger Graf reitet mit seinem Tross durch die Gegend und sieht in der Ferne einen befestigten Ort. Er fragt seinen Knappen: Wie heisst der Ort? Der Knappe sagt: Montbéliard. Und der Graf krächzt: Hä, Mömpelgard? Nie gehört!

Dienstag, 14. April 2015

Mein Böögg-Tag

Als ich gestern morgen um acht in Zürich beim Bellevue vorbeikam, bauten sie auf dem Sechseläutenplatz grad den Böögg auf - der Kopf fehlte ihm noch. Am Nachmittag begab ich mich dann als Journalist als Sechseläuten. Ich hatte im voraus beschlossen, mich für die Seite im Tages-Anzeiger den Gästen am Sechseläuten zu widmen, also den Leuten von auswärts. Mit der Fotografin Doris Fanconi sprach ich ein iranisches Ehepaar an, einen jüdischen Engländer mit vier herzigen Kindern, einen jamaikanischen Musiker und so weiter und so fort. Das Resultat kann man heute in der Zeitung lesen. Nicht, dass ich meine, der Artikel sei genial, die Antworten sind nicht weltbewegend. Aber immerhin unterhaltend. Und das Mosaik der Gesichter und Nationen mag ich sehr.

Montag, 13. April 2015

Wunder Wunderbrunnen

Altes Opfikon: das Restaurant Wunderbrunnen.
Man denkt bei "Opfikon" an Modernes und Übermodernes, an den Opfikerpark zum Beispiel mit dem künstlich angelegten Glattpark-See - Geometrie ins Endlose, riesige Überbauungen links und rechts, das Défense-Viertel von Paris in die Zürcher Agglo geholt. Opfikon hat aber auch einen Dorfkern mit einem Dorfbrunnen, gedrängt stehenden Häusern, Bauernhöfen auf der nahen Anhöhe und darüber den Flugzeugen vom nahen Flughafen. Ich entdeckte dieses alte Opfikon, als wir am Samstagmittag den 95. Geburtstag meines Freundes Ernst feierten; schön war das, gemütlich und zu persönlich, um es hier auszubreiten.

Wir feierten in einem Restaurant namens Wunderbrunnen. Dieses scheint mehrere Leben zu haben:
  •  1911 kaufte der Bäcker Robert Gottschick die Liegenschaft, ein weitum bekannter Meister der delikaten Wähe. Seine Wirtschaft geriet allerdings zu einem Etablissement, das dubiose Existenzen aus Zürich anzog. Die Anwohner fühlten sich in ihrer Nachtruhe gestört, ab und zu musste die Obrigkeit einschreiten und Gottschick eine Verwarnung erteilen.
  • Nach einem Intermezzo erwarb 1945 die tüchtige Berta Tanner das Restaurant, dessen Namen, wie ich annnehme, mit dem nahen Dorfbrunnen zu tun hat. Sie machte daraus eine äusserst erfolgreiche Güggelibeiz. Ein halbes Poulet mit Rotkraut, Marroni und Pommesfrites kostete 7 Franken 50. Autos aus der ganzen Schweiz parkierten rund um das Haus. Auf der Infotafel vor dem Haus steht auch, dass die Dorfvereine jeweils die Pouletreste spendiert bekamen.
  • Berta Tanner starb früh, es ging abwärts, 1968 schloss das Haus. Über Jahrzehnte stand es leer. Bis letztes Jahr der Kreuzlinger Haustechnik-Unternehmer Roger Hirzel mit seiner Partnerin Nadja Anliker kam, einer erfahrenen Gastronomin. Man renovierte das Haus, richtete eine Zigarrenlounge ein, legte eine Weinkarte mit 2000 Positionen auf. Seither steigt der Wunderbrunnen wieder auf als gute Einkehradresse; wir assen und tranken am Samstag hervorragend. Und draussen pickten vor dem Haus gegenüber die Hühner in ihrem Gehege. Mitten in Opfikon.

Sonntag, 12. April 2015

Tausendsassa Heini


Kürzlich gabs im Tagi eine Sammelseite - Anekdoten von Redaktoren zu ihrer Gymiprüfung. Ich steuerte das Geschichtlein bei, wie ich an der Aufnahmeprüfung für die Kantonsschule Trogen im Fach Deutsch ein praktisch unverständliches Diktat erlebte; der Lehrer, der es vortrug, war ein Waldschrat und nuschelte brutal. Der Text war damals ein Auszug aus Robert Schedlers "Der Schmied von Göschenen". 40 Jahre danach habe ich mir das Jugendbuch, einen Klassiker von 1919, in einer schönen Ausgabe antiquarisch besorgt und gelesen. Die Geschichte gefällt mir ganz ausgezeichnet. Sie erzählt, wie in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts die Leute im Urner Oberland unter Führung des beherzten Schmieds Heini von Göschenen einen Steg durch die grauslige Schöllenenschlucht legen - so beginnt die Geschichte der Gotthard-Transitroute.

Schmied Heini ist übrigens ein Tausendsassa. Autor Schedler stellt ihn gleich auch als Erfinder der Hellebarde hin, die 1315 am Morgarten entscheidend werden wird, indem er ihn sagen lässt:
"Ich denke an eine Waffe für unsere Bauern, die ihnen Überlegenheit geben soll im Kampf mit den schwerfälligen Rittern. Ein starkes, schweres Beil müssen sie haben, das den Helm und Harnisch durchschlagen kann; ein Haken dran, mit dem man die Sattelfesten vom Pferde reisst, und eine starke, scharfe Spitze, um die Pferde stechen zu können, dass sie scheu werden. Ich will mir die Sache überlegen."

Samstag, 11. April 2015

Aurelio und Ernst

Die Aurelio-Zen-Krimis wurden verfilmt. Zen hat nichts
mit Zen zu tun, sondern ist ein venezianischer Name.
Heute und morgen wird nicht gewandert. Ich habe mich erkältet. Jetzt will ich mich erholen, dies umso mehr, als ich der Neuling im Tagi-Lokalressort bin - und der Neuling muss das Sechseläuten machen. Will heissen: eine Seite am Dienstag in der Zeitung, stark bildlastig, aber doch ein Text, für den man eine Idee haben muss. Samt etwas Stress am Montag abend. Da will man fit sein. Das Wochenende versüssen mir zwei Dinge:
  • Zum einen lese ich die Aurelio-Zen-Krimis von Michael Dibdin. Es sind elf Romane, jetzt bin ich beim Zweiten, der im Italien der 1980er-Jahre spielt. Grossartige Sache. Übrigens las ich die ganze Serie vor Jahren schon einmal, habe sie unterdessen aber weitgehend vergessen. Es gehört zu den Vorzügen des Alters, dass man Dinge zum zweiten Mal entdecken darf.
  • Zum anderen bin ich heute mittag an ein Geburtstagsfest in Opfikon geladen. Wir feiern Ernst. Vor einem halben Jahr rief mich eine Frau aus Wallisellen an. Sie sagte, Ernst sei ein begeisterter Leser meiner Kolumnen und sei früher selber ein grosser Wanderer gewesen. Jetzt sei er 94 und habe den Wunsch, mich kennenzulernen. Das ist inzwischen geschehen, ich habe Ernst zweimal getroffen, wir haben uns befreundet. Erstaunlich finde ich, wie genau Ernst seine Routen im Gedächtnis hat; er beginnt gleich zu strahlen, wenn er die eine oder andere Unternehmung schildert, und kennt alle Wegdetails. Es gehört zu den Vorzügen des Alters, dass einem die wirklich wichtigen Dinge wohl doch bleiben.

Freitag, 10. April 2015

Zuhause ist es doch am schönsten


Hübsches 8-Minuten-Filmli. Es zeigt 12 Schreckensorte dieser Welt. Der Einstieg ist harmlos, ein Ort in Wyoming mit nur einem Einwohner; ich verstehe nicht ganz, was er auf der Liste soll. Aber danach geht es Schlag auf Schlag. Der Sprecher, dessen Markenzeichen eine absolut leidenschaftslose Stimme ist, präsentiert zum Beispiel: eine riesige Abfallfläche im Pazifik, grösser als Texas. Eine japanische Insel, auf der die Bewohner allesamt immer Gasmaske tragen müssen, wegen giftiger Vulkangase. Oder eine andere Insel vor der brasilianischen Küste mit der höchsten Schlangendichte der Welt. Am Schluss weiss man: Nie, nie wieder setze ich einen Fuss vor meine Türe.
Gondoliere, ich will nach Hause! Der pazifische Abfallsee. (Screenshot)

Donnerstag, 9. April 2015

Die Flussregenpfeiferparabel

Herziges Kerlchen. (Wikicommons/ Alpsdake)
In Opfikon ZH gibt es beim Glattpark eine grosse Baustelle. Die kiesige Fläche ist neuerdings mit 6000 Quadratmetern Thermofolie abgedeckt. So wollte es die Beamtenvorsorgekasse des Kantons Zürich, die am Ort eine Überbauung mit 117 Wohnungen realisieren will und mit der Folie eine Verzögerung des Projekts zu verhindern trachtet. Die Massnahme richtet sich gegen ein Flussregenpfeiferpärchen, das hier in der Vergangenheit brütete. Die Vogelart ist stark gefährdet und daher geschützt; eine Mulde mit Eiern würde einen Baustopp bewirken. Eine interessante Geschichte, die mein Tagi-Kollege Stefan Hohler kürzlich veröffentlicht hat - ein Lehrstück über Mensch, Tier und die Widersprüche einer rendite-orientierten Gesellschaft, die doch auch die Natur lieben möchte.
Hier kann man übrigens hören, wie der Flussregenpfeifer tönt.

Mittwoch, 8. April 2015

Die Vorhänglibahn

Als ich kürzlich in der Südostbahn Richtung Herisau reiste, fiel mir - es war im Wasserfluhtunnel - ein, wieso ich so gern auf dieser Strecke fahre. Es sind die Vorhängli. Sie geben mir als Passagier das Gefühl, in einem Wohnzimmer zu hocken.

PS: Ungünstig scheint mir die Abkürzung der Bahn, SOB. Für Amerikaner ist das son of a bitch. Die Montreux-Berner Oberland-Bahn ist auch nicht besser. Ihr Kürzel lautet MOB. Mob, das ist die Mafia.

Dienstag, 7. April 2015

Ostern? Zum Henker!


Österlichen Geistes war dieser Ausflug nach Basel-Landschaft nun nicht. Aber das Henkermuseum in Sissach hat bloss jeden ersten und dritten Sonntag im Monat offen, ich wollte es schon lange besuchen, vorgestern passte. Und also fuhr ich hin und beschaute mir das Folter- und Hinrichtungsgerät auf drei Etagen, zusammengetragen vom Museumsgründer und -leiter Guido Varesi, der ein Tattoo-Studio betreibt und ansonsten allerlei Flohmärkte abklappert, um neue Dinge für sein Museum aufzutreiben: eine zusätzliche Guillotinenklinge, ein weiteres Richtschwert, eine neue Variation der Mundbirne. Schummrig beleuchtet ist das Museum, auf gothic getrimmt, und es ist stilecht im alten Gefängnis untergebracht. Muss man es kennen? Nicht unbedingt. Doch interessant ist das schon. Und als ich mir später im nahen Café Sissach mit einer Crèmeschnitte aufsüsste, dachte ich, dass die Tage der Folter ja beileibe nicht vorbei sind. Das Thema bleibt aktuell.

Montag, 6. April 2015

Der Tresor von einst

Nein, das ist kein bemaltes Fenster!
Vor acht Tagen fuhr ich nach Sursee. Ich wollte mir den Sankturbanhof anschauen, das alte Amtshaus der Abtei St. Urban. Das Haus vom Ende des 16. Jahrhunderts ist ein Prachtbau und beherbergt diverse Sammlungen: Waffen, Hinterglasmalereien, Münzen; zudem sind seine Räume selber Sehenswürdigkeiten. Besonders gefiel mir der Wandtresor von 1607, in dem der Schaffner, der Verwaltungschef des Klosters, Geld und wichtige Dokumente verwahrte - das mit Wappen verzierte Ding hat Stil.

Sonntag, 5. April 2015

Nassspass

Das Grüppli, schirmbewehrt, bei der Tössegg.
Also Picknickwetter herrschte auf der Irchel-Hochwacht nicht.
Bärlauch-Alarm!
Solche Pfützen sah ich gestern an die 1000.
Brks, war das garstig gestern, wir hatten den schlechtesten Tag der Woche erwischt. Also den besten: Der Irchel einsam und allein. Die Traube in Dättlikon, wo wir assen, fast leer. Und keine Biker unterwegs - mit Ausnahme eines einzigen, der fuhr wie ein Amok und Wanderfreund R. fast niedergestreckt hätte. Vermutlich hatte er Wasser in den Augen. Mir gefiel diese Tour im Zürcher Unterland ausserordentlich. Und ich mochte auch, dass der Frühling bereits ein Stück vorangekommen ist, in einigen Waldstücken bildete der Bärlauch regelrechte Teppiche. Am Schluss waren wir - okay, wir zwei Verbliebenen, denn die anderen waren zwei Stunden vorher abgesprungen - fast acht Stunden gelaufen (7.50 h, 750 m aufwärts, 695 abwärts, 30 km). Die Route: Eglisau - Tössriederen - Tössegg - Teufen - Hörnli - Irchel/Hochwacht - Wilemerirchel - Buechemerirchel - Lochhalden - Tal - Dättlikon - Blindensteg - Ziegelhütte - Holzstuden - Winkelwisen - Warpel - Guldenberg - Trinenmoos - Oberembrach - Ghei - Hinterbänikon - Ifang - Erli - Schlatt - Kloten - Kloten Bahnhof.

PS1: Sehr nett waren sie im Restaurant bei der Tössegg.  Sie baten uns um 9 Uhr 40 hinein, obwohl die Wirtschaft eigentlich erst um 10 Uhr aufgeht. Vielleicht war es auch Mitleid. Aber trotzdem!
PS2: Zum Blindensteg an der Töss bei Dättlikon will ich bald mal einen eigenen Eintrag bringen; um ihn ranken sich wirklich interessante Geschichten.
PS3: Hat dieser Eintrag nicht einen schönen Titel? 9 Buchstaben, wovon nur 2 Vokale sind, dafür aber 7 Konsonanten. Und von diesen 7 sind 5 S. 
PS4: Ich wünsche allen, die das lesen, schöne Ostern!

Samstag, 4. April 2015

Winti explained

Winterthur, Stadtkirche. Die Sahara Bar liegt gleich am Platz.
Vor zwei Wochen regte mein Chef an, ich solle doch bitte ein Porträt der Stadt Winterthur schreiben, da sie in der letzten Zeit immer wieder in den Schlagzeilen ist - die zweitgrösste Zürcher und sechstgrösste Schweizer Stadt hat brutale Finanzprobleme. Hm. Ich überlegte und machte es so: Ich befragte vier Leute und montierte das Ergebnis zum Artikel. Vier Mal fuhr ich also nach Winti und genoss die Treffen samt ein bisschen Sightseeing sehr. Der Schriftsteller und Filmer Yusuf Yesilöz erzählte von der anatolischen Stadt Konya, deren Probleme sehr viel grösser sind als die Winterthurs; dass in Winterthur im Schnitt nur 2,2 Personen in einer Wohnung wohnen, können seine Verwandten in der Türkei kaum glauben. Der Kommunikationsberater Christian Huggenberg fand, dass das Verkehrshaus Luzern doch eigentlich in Winterthur stehen müsste, da fast alle dort ausgestellten Maschinen in Winterthur gebaut wurden. Der Historiker Peter Niederhäuser wies mich darauf hin, dass Winterthur eine Handelsstadt war, bevor es eine Industriestadt wurde; ein gewisser Jacques Bidermann avancierte einst in Frankreich gar zum Grossfinancier Napoleons. Last not least sagte mir in der "Sahara Bar" die junge Barfrau Ellen: "Es ist cool, dass wir in Winterthur keinen See haben. Wir machen uns die Stadt schön. Selber." Als Beispiel nannte sie den Brauch, sich im Sommer, Drink in der Hand, in die Brunnen der Steinberggasse zu hocken. Diese Lebenskunst gefiel mir; die entsprechende Brunnenszene illustriert denn auch den Artikel. Heute steht er in der Zeitung.

PS: Heute wandern wir übrigens Winti-nah. Wir starten in Eglisau, gehen nach Teufen, steigen auf den Irchel, steigen wieder ab nach Dättlikon. Dort wird oster-gegessen. Hernach soll es auf einem anderen Weg retour nach Eglisau gehen. Sofern weder die andern im Grüpplein noch ich selber vor dem Regen kapitulieren.

Freitag, 3. April 2015

Das ist Luxus! Das ist Ostern!

Eigentlich wollten wir morgen Samstag die 50-Kilometer-Marke attackieren; an den letzten Ostern hatten wir es auf 43 Kilometer gebracht. Doch nun habe ich abgesagt und etwas Sanfteres programmiert. Wir werden morgen nur mittelweit wandern und das mit einem feinen Essen kombinieren. Die 50-Kilometer-Sache würde inmitten der Nässe und Kälte ins forciert Infanteristische abkippen.
Generell habe ich ein schönes Osterprogramm:
  • Gestern gab es eine Führung durch Zürich auf den Spuren einstiger Schriftstellerinnen.
  • Heute steht die Familie auf dem Programm mit einem Fischessen im Thurgau.
  • Morgen, wie gesagt, die übliche Samstagswanderung. Wir ziehen durchs Zürcher Unterland und steigen wohl auch auf den Irchel.
  • Am Sonntag will ich ein sehr makabres Museum besuchen; das soll einen eigenen Eintrag setzen.
  • Montag? Ha, der Reservetag zur freien Verfügung! Das ist Luxus. Das ist Ostern. Ich liebe den christlichen Kalender.
 PS. Gestern war von mir ein Artikel im Tagi über eine Tafel am Grossmünster. Hier die Tafel.
Leider gibt es den Artikel nicht online. Wer ihn lesen will, hier ist er:
Zürich und die Rettung der Rudersklaven
Die Tafel am Grossmünster ist unscheinbar, die Geschichte dahinter spektakulär: Protestantische Prediger in Ungarn werden 1675 nach Neapel verschachert. Die protestantische Welt sammelt Geld und kauft sie von den Galeeren frei – in Zürich päppelt man sie wieder auf.
Thomas Widmer
Zürich – Linkerhand des Grossmünster-Haupteinganges ist eine Tafel montiert, bräunliches Messing, Grossbuchstaben im Relief. Grossmünsterpfarrer Chris­toph Sigrist freut sich, als man ihn auf die Tafel anspricht: «Schön, dass einer mehr über sie wissen will.»
Die Tafel habe ihn vor zwölf Jahren inspiriert, als er sein Pfarramt in Zürich antrat, sagt Sigrist. Sie passe gut zum Grossmünster und dessen «weltweiter Freundschaft mit reformierten Brüdern und Schwestern».
Die Inschrift auf der Tafel lautet: «In dankbarer Erinnerung an die Aufnahme von 30 von den Galeeren befreiten ungarischen protestantischen Predigern und ihren Aufenthalt in Zürich 1676– 1677.» Unterschrift: «die ungarische Gemeinde in Zürich 1977».
Die Dekade der Trauer
Von den Galeeren befreit? Die Geschichte, zu der Pfarrer Sigrist einige Information beibringt, wäre Stoff genug für einen Film. Es geht um Widerstand und Tod, Verzweiflung und Rettung.
Die Sache beginnt im habsburgisch dominierten Ungarn des 17. Jahrhunderts damit, dass im Widerstreit der Konfessionen die Katholiken in die Offensive gehen. Jesuiten und Franziskaner, die Berater von Kaiser Leopold I., signalisieren diesem: Wenn die protestantischen Pfarrer erst einmal aus dem Weg geräumt sind, wird das Volk einfach zum Katholizismus zurückzuführen sein.
1671 beginnt eine Phase der Repression, die man später «Dekade der Trauer» nennen wird. Ein Sondergericht entsteht, das schubweise protestantische kirchliche Lehrer und Pfarrer vorlädt. Man klagt sie an wegen Hochverrats, Verleumdung der heiligen Kirche, Kooperation mit den Türken; jene sind damals der grosse Feind des Abendlandes. Den Verurteilten droht die Todes­strafe, wenn sie nicht eine von drei Bedingungen akzeptieren: Sie wandern aus. Sie geben ihren Beruf auf. Oder sie treten zum Katholizismus über.
1674 läuft ein solcher Prozess in Bratislava, zu Deutsch Pressburg, damals Hauptstadt des königlichen Ungarn. Die Zahlen variieren je nach Quelle ein wenig. Einige 100 Leute müssen antreten. Um die 90 bleiben standhaft und werden zum Tod verurteilt. Die Strafe wird bald in Festungshaft umgewandelt und später, 1675, in Galeerensklaverei.
Rund 40 dieser Protestanten werden nach Neapel geschafft, damals in spanisch-habsburgischer Hand. Einige sterben unterwegs, die anderen werden für 50 Goldstücke pro Person an Schiffsbesitzer verkauft. Paarweise kettet man sie in den Galeeren fest, nun sind sie Rudersklaven. Ihr Glück ist, dass Europa aufmerkt. Die protestantische Welt empört sich, die Botschafter Hollands und Belgiens schalten sich ein, eine Geldsammlung läuft an.
Schliesslich schafft es der holländische Admiral Michiel de Ruyter im Februar 1676, die geistlichen Ruderer freizukaufen. Ungefähr 30 leben noch. Psalmen sollen sie gesungen haben beim Hören der guten Nachricht. De Ruyter, der sie nach Venedig eskortiert, schreibt: «Von all meinen Siegen hat mir keiner so viel Freude bereitet wie die Errettung dieser unschuldigen Diener Christi von ihrem unerträglichen Joch.»
Spalier für die Befreiten
Die Reise der Freigelasssenen führt über die Alpen nach Zürich, das sich am Freikauf beteiligt hat als eines der grossen Zentren der Reformation. In protestantischen Gegenden stehen die Menschen Spalier und versuchen, die Kleider der wundersam Erretteten zu berühren.
Am Morgen des 9. Mai 1676 treffen diese in Zürich ein und werden auf der Chorherrenstube neben dem Grossmünster, wo heute die Theologische Fakultät untergebracht ist, empfangen und verköstigt. Jeder Pfarrer der Stadt und einige Professoren nehmen je zwei Ungarn auf. Etliche der Gäste bleiben zum vertieften Theologiestudium länger in der Stadt. Andere ziehen mit Reisegeld aus der Kirchenkollekte bald weiter.
Zürichs Beistand für die unterdrückten Protestanten wirkt bis heute nach, die Ungarn seien seither mit Zürich verbunden, sagt Sigrist. Einmal im Jahr feiern Ungarn und Zürcher (mit den Waldensern und der evangelisch-lutherischen Kirchgemeinde) gemeinsam Gottesdienst im Grossmünster. Durchs Jahr hat die ungarische Kirchgemeinde Gastrecht im Kirchgemeindehaus Helferei.
Und die Grossmünster-Gemeinde unterstützt via Heks, das Hilfswerk der Evangelischen Kirchen Schweiz, die ungarischen Reformierten, man spendet für die Bibliothek der grössten reformierten Fakultät in Debrecen; im Heks-Stiftungsrat sitzt auch Pfarrer Sigrist.
Auf der Tafel am Zürcher Grossmünster ist auch eine Bibelstelle aufgeführt: 2. Kor. 4,9. Die Stelle lautet: «Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen; wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.»