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Montag, 31. Oktober 2016

Fette, fiese Fresserin

Neulich auf der Stilli-Brücke im Herbstnebel dachte ich: Ja, tu nur so friedlich und unschuldig, Aare, Verbrecherin du. Ganz nah, etwas weiter im Süden bei Turgi, einverleibst du dir jeden Tag, jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde neu die Reuss und die Limmat. Darum bist du jetzt so fett. Getan haben dir diese Flüsse nichts, sie strömen dir friedlich entgegen. Du bist ein Monster, Aare. Aber ich weiss etwas, was du nicht weisst: Ein paar Kilometer weiter wartet der Rhein auf dich.
A propos Wasser: Ich muss auf die Sodbrunnen-Sache zurückkommen, also auf die Einträge vom Samstag und Sonntag. Meine stets aufmerksame Leserin Marianne wies mich gestern auf das "Historische Lexikon der Schweiz" hin. Dort findet man unter "Wasserversorgung" den Satz: "Die tiefsten Sodbrunnen der Schweiz befinden sich in Regensberg (52m) und in Dorneck (85m)." Aha. Dorneck hatten wir noch nicht. Und doch rollt diese Burgruine bei Dornach  SO jetzt das Feld von hinten auf und setzt sich an die Spitze der somit vier tiefsten Sodbrunnen der Schweiz. Ein Detail: Der Regensberger Brunnen ist in dem zitierten Lexikoneintrag 5 Meter weniger tief als im Schild vor Ort auf dem Brunnen, dort sind es 57 Meter.

Sonntag, 30. Oktober 2016

Jetzt sind es schon drei

Auf Kastelen gibt es einen tiefsten Sodbrunnen der Schweiz.
Auch dort. (Screenshot der Homepage)
Lustig. Gestern schrieb ich darüber, dass sowohl in Regensberg ZH als auch auf der Habsurg ein Sodbrunnen steht, von dem ein Schild behauptet, er sei der tiefste der Schweiz, der eine ist 57, der andere 68 Meter tief. Umgehend wies mich mein Wanderfreund Fritz Hegi darauf hin, dass es bei Alberswil im Kanton Luzern in der Burgruine Kastelen auch einen Sodbrunnen gibt. Auf der zugehörigen Homepage steht:
"Nahe bei der Südostecke des Turmes trifft man auf den Sodbrunnen. Er ist im Winter 2003/4 bis auf den Grund ausgeräumt worden und mit 57.6 m der tiefste Sodbrunnen seiner Art in der Schweiz."
Lustig. Jetzt sind es schon drei tiefste Sodbrunnen in der Schweiz- die Beifügung "seiner Art" klingt mir jedenfalls nach barer Floskel. Vielen Dank für den Hinweis, lieber Fritz, mal schauen, ob die Liste sich in den nächsten Tagen noch verlängert. Waadtländer, Tessiner, Bündner, St. Galler - habt ihr auch einen tiefsten Sodbrunnen der Schweiz?

Samstag, 29. Oktober 2016

Habsburg vs. Regensberg 1:0

"Bitte nichts hinabwerfen": der Brunnen auf Regensberg.
Das untere Foto zeigt ihn in seiner Umgebung.
57 Meter tief sei der Sodbrunnen, er sei damit der tiefste der Schweiz, las ich eben auf dem Schild am Brunnen von Regensberg ZH unweit des alten Schlossturms. Es gibt zweierlei Brunnen: Bei den einen plätschert das Wasser aus dem Hahn, eine Quelle. Bei anderen Modellen muss man zuerst graben und das Wasser dann vom Grund zu Tage fördern mit einem Eimer am Seil oder per Pumpe; diese zweite Kategorie nennt man "Sodbrunnen". Aber eigentlich will ich auf etwas anderes hinaus. Im Innenhof der Habsburg im Aargauischen gibt es auch einen Sodbrunnen. Gemäss Bohrungen von 1995 ist er 68 Meter tief; im 19. Jahrhundert hatte man ihn mit dem Aushub einer Gipsgrube zugeschüttet. Mir scheint, die Aargauer haben gewonnen und die Zürcher etwas übersehen.

Freitag, 28. Oktober 2016

Voll biologisch

Die Eventalp aussen und innen.
(Bilder: Pressemitteilung)
In Stetten AG im Reusstal gibt es neuerdings eine Eventalp, entnehme ich einer Pressemitteilung. Gemeint ist eine Halligallihalle im Holzdekor, in der bei Firmenanlässen und dergleichen so richtig, wie man so schön sagt, die Sau abgehen darf. 1000 Quadratmeter gross ist die Pseudohütte, man kann sie natürlich beschallen. Und ganz wichtig: Die Böden sind Naturböden, voll biologisch. 420 Leute können in der Halle feiern, es gibt eine Terrasse und 300 Parkplätze. Eine richtige Alp in den Bergen finde ich immer noch schöner.

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Ulrich, Nayla und der Mohr

Das Gestüt Hanaya oberhalb Schleinikon ZH gehört... siehe Text.
Der Mohr von Niederweningen.
Gestern charmante Kurzwanderung von 2 1/2 Stunden mit Ronja, wir starteten gerade zu dem Moment, als am späten Mittag der Regen aufhörte; das Herbstlaub im Wald roch nach Zimt. Die Route: von Regensberg via Alphof und Chüeboden nach Niederweningen - anders gesagt: eine Tour an der Lägernflanke mit Abstieg ins Wehntal. Drei markante Momente:
  1. Natürlich besichtigten wir wieder einmal das alte Adelsnest Regensberg, ein Bijou, ein Adlerhorst, ein Höhenstädtchen, stolz befestigt. Die Herren von Regensberg waren einst jemand, sie kontrollierten die Umgebung weitum und dazu ein zweites Gebiet um Grüningen im Zürcher Oberland. Hübsch die Kopie der Grabplatte des Freiherrn Ulrich von Regensberg an der einen Mauer; was hatten die Adeligen damals feminine Frisuren.
  2. Oberhalb von Schleinikon passierten wir beim Haselacher den Expohof, das Gestüt Hanaya. Hier werden edle Araberpferde gezüchtet, die Eigentümerin ist Nayla Hayek, Tochter des Swatch-Pioniers Nicolas Hayek, Verwaltungsrats-Präsidentin der Swatch Group.
  3. Am Schluss nahmen wir bei der S-Bahn-Station "Niederweningen Dorf" im Löwen ein Bier. Die Beiz hat keinen Löwen im Schild, sondern einen Mohren, was politisch heftig unkorrekt ist und wohl damit zu tun hat, dass der Wirt "Moor" heisst. Grossartig die Bierkarte, wir hatten ein Dunkelbier "Nera" vom Brauwerk Oberweningen - es war fast eine Mahlzeit. Im Mittelalter gehörte die Taverne von Niederweningen den Herren von Regensberg, so schliesst sich der Kreis.
    Der Turm von Schloss Regensberg ist rund, was untypisch für die Gegend ist:
    Man vermutet savoyischen Einfluss.

Mittwoch, 26. Oktober 2016

Toggo und der Steuersatz

Zwischen Zollikon und Küsnacht bildet der Düggelbach auf einem langen Abschnitt die Grenze. Kürzlich las ich im "Zolliker Zumiker Boten" etwas über die Herkunft des Namens. Es gibt einen althochdeutschen Männernamen Tuggilo, alemannisch Toggo, was "tüchtig" bedeutet. Daraus leitet sich der Familienname Düggelin ab, der im Gebiet auch tatsächlich schon im Mittelalter belegt war. Sicher ist auch dies: Als damals der Toggo mit seiner Sippe an diesem Ort siedelte, gab es noch keine grossen Häuser und Villen. Wie es mit dem Steuersatz steht, heute bekanntlich paradiesisch tief, weiss ich nicht; man müsste einen Historiker auftreiben und ihn fragen, wem die Leute am Bach damals zinspflichtig waren.

Dienstag, 25. Oktober 2016

Ade, Aletschwald!

Das Hotel auf der Riederfurgga am Rand des Rutschgebiets.
Entsetzt las ich vorgestern die NZZ am Sonntag - ich meine die Reportage aus dem Gebiet südlich der Riederfurgga und der Moosfluh auf der Riederalp und der Bettmeralp. Im Sommer 2015 waren wir dort wandern, wunderbar der Aletschwald mit seinen 800-jährigen Arven und darunter der mächtige Eisstrom des Aletschgletschers. Bloss schmilzt der Gletscher derart massiv, dass mittlerweile der Hang über ihm rutscht. Das Gebiet Kalkofen am Wald ist gesperrt worden, überall hat es Risse im Boden, Gefahr lauert. Tod eines Wanderklassikers? Sieht so aus.

PS: Wer wissen will, wie das Sperrgebiet genau umgrenzt ist, findet hier die Information samt Karte.

Montag, 24. Oktober 2016

Dunkler geht nicht

In der Mine, die Wägeli wirken, als habe sie ein Mineur grad eben gefüllt. 
Ein sogenanntes pain d'asphalte. Ein
Asphaltbrot. In dieser Form ging
das Produkt der Mine in den Handel.
Ein solches Brot ist etwa 40 cm lang.
Man muss sich das einmal vorstellen: 100 Kilometer unterirdische Gänge. Vom Dorf St-Sulpice weit hinten im Tal bis zum Creux du Van auf der Höhe von Noiraigue ist der Untergrund des Val de Travers durchsetzt von Stollen, die schachbrettartig angelegt sind, sich also immer wieder kreuzen. Und all das wegen des Asphalts, der von 1783 bis 1986 gefördert wurde, bis 1975 übrigens noch unter Einsatz von Grubenpferden; zu den besten Zeiten lieferte diese Asphaltmine ein Fünftel der globalen Produktionsmenge. Am Samstag besichtigten wir die Anlage, bewanderten also ein Stück neuenburgische Unterwelt; sehr praktisch die Anreise, die Mine von La Presta zwischen Travers und Couvet hat eine eigene Bahnhaltstelle, Halt auf Verlangen. Was mir auf der Führung besonders Eindruck machte: Jener Moment, als unser Führer Maurizio, natürlich nach Vorankündigung, das Licht abstellte - noch nie zuvor hatte ich diese totale Dunkelheit erlebt. Umso prachtvoller später der Moment, als wir wieder ins Freie traten und den besonnten Oktobertag sehen durften. Wir wanderten dann auch noch, gingen in zwei Stunden von der Mine nach Noiraigue. Dort stellte ich nicht zum ersten Mal fest: Die haben einen tollen Bahnhofskiosk, wo man sich mit diversen Arten Absinth eindecken kann.
Unser Führer Maurizio und das interessierte Schärchen am Stolleneingang.

Sonntag, 23. Oktober 2016

Saftig wie selten

Der Schinken ist schon entfernt. Hier die Hülle aus Backpapier und
Mehlsackpapier und darum herum die Substanz, in der er garte: Asphalt.
Doch, der Schinken war gut gestern. Saftig wie selten. Vier Stunden hatte er im 180 Grad heissen Asphalt garen dürfen, verpackt in Backpapier, das mit einer Schnur verschnürt wurde, worauf das Fleisch auch noch in eine Mehlsackhülle kam, um dann per Flaschenzug in den Asphalt abgeseilt zu werden - wer es genauer wissen will, findet hier die Kochbeschreibung. All das spielte sich im Val de Travers ab, im Restaurant der stillgelegten Asphaltmine von La Presta nah Travers NE. Das Essen nach einem Absinth-Apéro schmeckte umso besser, als die vorangegangenen fast zwei Stunden Führung in die Mine sich bei acht Grad Celsius abgespielt hatten, wir bekamen kalte Füsse. Mehr zu unserem kleinen Abenteuer in der Romandie morgen. Ah ja, das muss ich noch loswerden: Beim Asphaltschinken handelt es sich um das Festessen der einstigen Mineure. Heute kocht das Café des Mines pro Jahr gut fünf Tonnen Schinken.

Samstag, 22. Oktober 2016

Schreckensszenario unser Landwirtschaft?

Lakshmi entsteigt dem Milchozean, der für
meinen Begriff etwas milchiger sein dürfte.
(Wikicommons/Raja Ravi Varma)
Milchozean? Ist das etwas Galaktisches? Oder ein Schreckensszenario unserer hochsubventionierten Landwirtschaft analog zum Butterberg? Oder ein Meer, das man noch nicht kennt und vielleicht nach der Pensionierung grandios besegeln könnte? Nun ja, alles das trifft nicht zu. Der Milchozean ist eines der Urmeere in der Mythologie der Hindus. Sie gingen von Kontinenten aus, zwischen denen es Ozeane aller Art gab. Der eine war der Milchozean. Das ist allerdings nur der Anfang der Geschichte, denn es ranken sich um den Milchozean unzählige abstruse Mythen, die man auf Wikipedia nachlesen kann.

Freitag, 21. Oktober 2016

Zürichs Hütten

Momentan ist Laubhüttenfest. Sukkot, so der hebräische Ausdruck, ist zum einen ein Erntedankfest mit uralten Wurzeln. Zum anderen erinnert das Fest an den Auszug der Juden aus Ägypten und an die 40 Jahre ihrer Wanderschaft, die sie in einfachen und provisorischen Verhältnissen zubrachten. Am Dienstag fotografierte ich in Zürich einige der Hütten, die sich vor allem abends und nachts mit Leben füllen und nach einer Woche wieder abgebaut werden. Diejenigen, die ich in Vorgärten und Hinterhöfen und auf Balkonen sah, waren aus Holz, Sperrholz, Karton, Plastik gebaut. Laub, Zweige, Blätter als Material sah ich nicht.

Donnerstag, 20. Oktober 2016

Concentrationslager

Häftli, Büren an der Aare BE: die Wäscherei des einstigen Polenlagers.
Lottrig: die Wäscherei aus der Nähe.
Ich war vor langem schon einmal im Häftli, wie bei Büren die zwischen der Schlinge der Alten Aare und dem Nidau-Büren-Kanal gefangene Landfläche heisst. Gestern ging ich noch einmal hin, sozusagen eine historische Exkursion, nachdem ich mich über das ehemalige Polenlager kundig gemacht hatte. Im zweiten Weltkrieg waren im Gebiet internierte Polen untergebracht, später Flüchtlinge, dann Italiener und schliesslich Russen. Das gewaltige Barackenlager wurde hernach wieder abgebaut, heute gibt es nur noch drei Dinge zu sehen. Halt, zwei! Ich stellte nämlich fest, dass anders als noch in der hervorragenden Dokumentation von 2014, die ich im Internet gefunden hatte, die ehemalige Lagerküche nicht mehr da ist. "Habe ich abgerissen", sagte mir der Bauer; im Gras ein Fleck, wo die Hütte gestanden war. Erhalten ist natürlich das Denkmal aus dem Jahr 2000. Sowie ein allerletztes, totalzerfallenes Gebäude unweit - die alte Wäscherei mit ihrem Kamin. Im November will ich über das Lager von Büren, das am Anfang "Concentrationslager" hiess, wanderkolumnieren.
Das Denkmal mit einem Lageplan der einstigen Hütten.

Mittwoch, 19. Oktober 2016

Fleischfrei?

Ich weiss, das Foto ist nicht besonders, das Schild war aber auch ziemlich abgewittert. Ich kam vorgestern auf meiner Wanderung im Gebiet von Schreizen daran vorbei. Nach dem Giessen, kurz vor Sitzberg. Ein Naturistengelände, Zutritt verboten, der Wanderweg wird fein säuberlich etwas unterhalb im Wald aussen vorbeigeführt. Das Gelände gehört der Stiftung "die neue zeit" und ist sozusagen der kleine Bruder des bekannteren Geländes in Thielle am Neuenburgersee. Gegründet wurde "die neue zeit" 1961, einer der Pioniere war der Naturismus-Vorkämpfer Eduard Fankhauser. Wer sich für die Satzungen interessiert (im Stiftungsrat sollen nur Personen mit "edler Gesinnung" einsitzen), kann das hier
nachlesen. Man forciert das alkohol-, nikotin- und fleischfreie Leben - das dritte Adjektiv bezieht sich natürlich auf die Ernährung. Mir scheint das alles ein wenig humorlos. Nichts gegen nackt, aber warum darf man nicht ein Bier dazu trinken oder so? Haben die Angst, die Sache könnte dann ausarten? Soweit ich sehe, geht es eher um die Philosophie des gesunden Körpers. Aber auffällig ist das schon, wie die Erotik als Thema nicht stattfindet.

Vom Fotografen Michael von Graffenried gibt es über das Areal Thielle den schönen Bildband "Nackt im Paradies". Er erschien 1997. Und die beste Reportage über das Sitzberg-Gelände, übrigens das grösste Naturisten-Areal der Schweiz, enthält den lustigen Satz: "Auf dem Sitzberg kann man so richtig die Seele (und alles andere) baumeln lassen."

Dienstag, 18. Oktober 2016

Giessenglück

Schön, oder? Und ein bisschen abenteuerlich ist der Weg durch den Canyon auch, man geht unter der überhängenden Wand, über die ein Rinnsal von Wasserfall stürzt, und zieht unwillkürlich den Kopf ein, obwohl alle Leute unter zwei Metern nicht um ihren Schädel fürchten müssen. Der Giessen im Gebiet Schreizen zwischen Wila und Sitzberg war gestern mein Wanderziel - als ich ihn sah, verspürte ich ein grosses Glück. Entdeckt hatte ich den Fall samt der höhlenartig eingetieften Nagelfluh-Bucht letzte Woche im Buch "Wasserwunder", das ich in diesem Blog bereits behandelt und gestern mit einem grossen Artikel im Tagi gewürdigt habe. Meine Route: Freckmünd (eine Bushaltestelle an der Linie Wila - Sitzberg) - Cholplatz - Schreizen, Giessen - Oberschreizen - Ensberg - Bärlischwand - Schuel - Bichelsee, Post. Lang war die Unternehmung nicht: 2 1/4 Stunden. Aber sie war... ausserordentlich. Unvergesslich.

Montag, 17. Oktober 2016

Appenzellerland ganz alt

Das Appenzellerland, einst ein unwegsames Hochland, wurde von Süden her besiedelt. Die älteste urkundlich belegte Örtlichkeit ist daher nicht etwa Appenzell, nenei, Sie. Sondern der Schwänberg, unweit von Gossau in der Gemeinde Herisau gelegen. 821 ist er erwähnt in einer Urkunde des Klosters St. Gallen. Ziemlich genau 800 Jahre später entsteht dort eine Art Prominentenweiler, habliche Leute bauen sich prunkvolle Häuser. Das "Alte Rathaus", das nie ein Rathaus war, aber so genannt wird, bildet den Mittelpunkt des Schwänbergs, den die Einheimischen übrigens "Schwäberg" mit kurzem Ä aussprechen. Jeden ersten Sonntag im Monat kann man das Rathaus besichtigen von 14 Uhr bis 16 Uhr. Als wir vor einiger Zeit durchkamen, war leider Samstag.

Sonntag, 16. Oktober 2016

Der Fuhrmann von Eggiwil

Die Emme (hier bei Schüpbach) kann auch
anders als lieb. (Wikicommons/ Zenit)
Anschutz: Mit Jagd hat das Wort nichts zu tun. Anschutz ist, wenn Wasser heranschiesst. Auch im Dialekt-Wörterbuch Idiotikon findet man den Ausdruck. Oft bezieht er sich auf die Emme oder dann auf andere Berner Flüsse, die bei Gewittern fast explosionsartig schnell anschwellen. In Eggiwil nennt man übrigens das Grollen der Emme, wenn dies passiert, Eggiwilfuehrme: Eggiwil-Fuhrmann.

PS: Gewandert wird dieses Wochenende nicht. Gestern hatte ich Pikett, sass zu Hause, es passierte nichts. Und heute gehe ich auf die Redaktion und schreibe einen Artikel, wie das im Tagi-Sonntagsdienst beim Zürich-Ressort erwünscht ist.

Samstag, 15. Oktober 2016

Oh du Flasche!

Der Verschluss war nicht wirklich dicht, und der Tee roch und schmeckte nach Plastik. Trotzdem oder genau deswegen ist die alte Feldflasche aus den Siebziger- und Achtzigerjahren Jahrzehnte danach unvergessen. Sie war mir sofort wieder gegenwärtig, als mich gestern ein Mail erreichte: Derzeit läuft ein Crowdfunding, drei Leute aus Bern wollen die Flasche wieder zum Leben erwecken. Sie versprechen auch, dass die neue Maibummelflasche, wie sie heisst, nicht lecken wird. Und dass der Tee aus ihr diesmal nicht nach Plastik schmecken wird. Das sind gute Nachrichten.

Freitag, 14. Oktober 2016

Das Wasserschloss der Berner

Schön, oder? Das ist Schloss Landshut bei Utzenstorf, das letzte Wasserschloss im Kanton Bern. Ich kam kürzlich durch auf einer hübschen kleinen Emmeufer-Wanderung (mehr davon bald schon). Das Schloss stammt aus der Zeit um 1630 und wurde als Wohnschloss gebaut; zuvor stand an dieser Stelle schon im Mittelalter eine Burg. Schloss Landshut, einst der Sitz des Landvogts, gehört einer Stiftung und beherbergt das Schweizer Museum für Wild und Jagd. Das Museum hatte zu, als ich da war, ohnehin ist gleich Saisonschluss. Aber der Park, der ist grandios und das ganze Jahr offen, ich kann die Visite jedem und jeder empfehlen.

Donnerstag, 13. Oktober 2016

Mann, das gibt Arbeit

Der Kanton Zürich ist so nebenbei auch das Land der Tobel. Michel Brunner und Ueli Brunner verwandelten sich bei den Recherchen für ihr Buch in, wie sie selber im Vorwort sagen, "Wasserläufer" und erkundeten über 200 Zürcher Tobel. Jetzt ist das Buch erschienen, es ist, finde ich, sehr gelungen und schlägt 22 Wanderrouten vor. Viele der Tobel kenne ich nicht, habe zum Beispiel nie gehört vom Chängelbach-Tobel, vom Grabibach-Tobel, vom Röhrli-Tobel. Mann, das gibt Arbeit; ich muss (und will) sie alle mal kennenlernen, diese charmanten Unter-. Neben-, Abseitswelten.

Ah ja, hier die Angaben: "Wasserwunder - 22 verwunschene Tobelwanderungen im Kanton Zürich". AS Verlag, 240 Seiten, viele Fotos, 48 Franken.

Mittwoch, 12. Oktober 2016

Wer war schon in Confluentia?

Das Wappen von Koblenz AG
erzählt die Sache knapp: Hier
mündet ein Fluss in den anderen.
(Wikicommons)
Mancher Schweizer Ortsname ist römischen oder doch lateinischen Ursprungs, Pfyn etwa kommt von ad fines, bei den Grenzen. In Gurtnellen wiederum verbirgt sich die curtinella, der kleine Hof. Das war mir bereits bekannt. Kürzlich nun lernte ich: Koblenz ist abgeleitet von ad confluentes oder von confluentia; beides sind Formen des Verbes confluere, zusammenfliessen - gemeint ist natürlich die Aare, die dort in den Rhein mündet.

Dienstag, 11. Oktober 2016

Containercity


Gestern ging ich mir das Basislager anschauen. Nein, mit Alpinismus und Mount Everest hatte der beruflich motivierte Ausflug nichts zu tun, ich besuchte kein Bergsteiger-Camp, sondern die Containersiedlung auf einer städtischen Brache zwischen Gleisfeld und Autobahn in Zürich-Altstetten. Das Basislager eben. Dort leben Asylbewerber und dazu viele sogenannte Kreative aus Grafik, Architektur, Kunsthandwerk und Kunst, auch gibt es eine Beiz, das Transit. Gleich daneben, aber nicht mehr auf dem Areal, findet sich am Depotweg der offizielle Strichplatz mit den berüchtigten Verrichtungsboxen. Ein ziemlich intensiv bespielter Fleck, diese vom Tram Nr. 4 erschlossene Fläche längs der Aargauerstrasse.

Montag, 10. Oktober 2016

Knotenstock als Markenzeichen

Schon schön, der Steg über den Zürichsee.
Die Felche meines Vertrauens.
Die Samstagswanderung spielte sich bei leichtem Regen ab, was Vorteile hatte. Wir zogen von Pfäffikon SZ Richtung Rapperswil und freuten uns auf dem Fussgängersteg - für einmal keine Velofahrer, die waren wohl zu Hause am Speichen Polieren und die Naben frisch Ölen oder so. Die Nässe akzentuierte auch schön die Farben der Böden, tiefgrün die Wiesen, fett braun die sumpfigen Partien. Jakobspilger kamen uns einmal entgegen, unschwer erkennbar am etwas grimmigen Auftreten; man ist ja nicht zum Spass unterwegs, sondern in spiritueller Mission, und statt eines modernen Alustocks schwingt man einen Knotenstock wie Vater Abraham. Am Rapperswiler Ufer dann bogen wir ab nach rechts und hielten mehr oder minder am See vorwärts Richtung Busskirch; erfreulich, dass praktisch der ganze Abschnitt gekiest war, also nicht asphaltiert. Schliesslich kamen wir zum Strandbad Stampf und zur gleichnamigen Strandbeiz. Sie gehörte uns praktisch ganz, der Fisch war himmlisch, ein gutes Ende zu einer guten Wanderung. Okay, ganz fertig waren wir noch nicht, wir mussten die Viertelstunde zur nahen Bushaltestelle Grünfeld gehen, aber mit einem glücklichen Bauch überstanden wir dieses Finale in der totalverbauten Agglo souverän.
Die Strandbeiz Stampf von aussen. Bis vor Weihnachten bleibt sie geöffnet.

Sonntag, 9. Oktober 2016

Hochzeitsschnupfen

Gestern auf dem Fussgängersteg, der von Hurden bei Pfäffikon über den Zürichsee nach Rapperswil führt, hatte ich gegen Mittag im leichten Regen mal kurz ein sehr schlechtes Gefühl. Muss das wirklich sein, dass ein Brautpaar bei ziemlich kühlem Wetter auf den Steg abkommandiert wird zwecks Foto? Oder wollten die das selber? Jedenfalls würde ich wetten, dass die Braut, deren nackte Schultern bloss mit einem durchbrochenen Nichts bedeckt waren, heute ziemlich krank ist. Ist es das, woran sie sich punkto Hochzeit lebenslänglich erinnern wird: Wie sie sich damals im unwirtlichen Oktober auf dem See vor Rappi einen schauderhaften Schnupfen zuzog?

Samstag, 8. Oktober 2016

Fangen Sie schön, Herr Wespe!

Vor drei Jahren wanderte ich an einem Herbsttag von Eschenbach via Kloster Wurmsbach nach Rapperswil. Es schiffte, schiffte, schiffte, ich war bald pflotschnass. Umso schöner die Überraschung in Form der Strandbeiz Stampf im Strandbad von Rapperswil-Jona. Dieses Badirestaurant hat weit über die Bade-Saison hinaus offen. Und es schafft es tatsächlich, fangfrischen Fisch zu servieren; er wird täglich vom Fischer Arthur Wespe aus Schmerikon angeliefert. Eine gute Sache. Ich komme auf die Unternehmung von damals zurück, weil wir heute hinwandern. Fangen Sie schön, Herr Wespe!

Freitag, 7. Oktober 2016

Trojan und das Wandern

Mit grossem Interesse las ich diese Woche im Zug nach Bern und später im Retourzug die eben erschienene, von meinem alleraktivsten Wanderkollegen René P. Moor herausgegebene Schrift "Wanderkunst - Lebenskunst". Ihr Autor, der Deutsche Ernst Walter Trojan, ist zuallererst Zeitdiagnostiker. An seinem Volke erkennt er im Jahre 1910, als das Büchlein in München erscheint, eine Degeneriertheit auf allen Ebenen: zu viel Verschulung und Verbildung, zu viel Sitzen und zu wenig Gehen, zu viele neuzeitliche Laster wie adoleszente Alkoholexzesse. Und insbesondere sind für ihn das Automobil und die Eisenbahn mit schuld daran, dass der Deutsche und die Deutsche nicht das Niveau an Kraft und Vitalität einnehmen, das ihnen zustünde. Trojan benennt das alles mit grösstmöglicher Leidenschaft. Und er plädiert fürs Wandern als Allerheilmittel. Hier eine Kostprobe, in der dargelegt wird, warum das Wandern für die Weiblichkeit im Land eigentlich die einzige geeignete Körperbetätigung ist - wir Heutigen dürfen herzlich lachen.
"Die meisten Sportarten haben sich für das weibliche Geschlecht als ungeeignet erwiesen. Der Grund ist klar, wird aber viel zu wenig erkannt und gewürdigt. Die weiblichen Genitalorgane sind von einer ganz ausserordentlichen Empfindlichkeit. Deshalb sind alle Sportarten, die mit Erschütterungen und heftigen Sprüngen verbunden, also Reiten, Radfahren, Tennis, Turnen für das weibliche Geschlecht gefährlich."

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Die Bauernfamilie und ihr Bähnli

Seit einiger Zeit gehört zum touristischen Angebot des Engelbergertals die Buiräbähnli-Safari, eine Kombination aus Wandern, Seilbahnfahren, Übernachten in der Berghütte. Spiegel online brachte gestern eine Reportage zum Thema vom Bergbauernhof Brändlen auf 1200 Metern, hoch über Wolfenschiessen.  Dort wohnt die Familie Schmitter, die nur dank dem Seilbähnli überhaupt existieren kann. "Die Bahn ist unser Treppenhaus", sagt der Bauer. Er züchtet Dexter-Rinder, denn die sind nur 500 Kilo schwer. Geht es zum Metzger, kann er ein solches Tier im Gegensatz zu einer schwereren Schweizer Braunkuh per Bähnli zu Tal bringen - in einem Transportkorb unter der Bahn. Schmitter muss mit in den Korb: "Wenn die Tiere allein fahren, kriegen sie Angst."
Das Seilbähnchen, das von Wolfenschiessen zu den Schmitters
hinauffährt. (Screenshot Buiräbähnli-Safari-Homepage)

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Giftig? Na und?

Mmm, Bucheckern. (Wikic./ Rasbak)
Schöner Artikel gestern im Tagi, die Journalistin ging mit auf eine Exkursion des WWF, die Gruppe erkundete im Säuliamt, südlicher Kanton Zürich, Wildpflanzen. Die botanische Mission entschleunigte alle, nach anderthalb Stunden war man 300 Meter weit gekommen. Soviel gibt es zu entdecken, wenn man Bäume, Büsche und insbesondere den Boden genau mustert. Hier ein paar Trouvaillen - zuvor aber noch der Hinweis, dass die nächste Exkursion der WWF-Reihe "Essbare Wildpflanzen im Jahresverlauf" dem Winter gilt und am 21. Januar statttfindet.

Nun die Trouvaillen:
  • Die Eibe ist integral hochgiftig. Nun, nicht ganz. Die rote Beere ist essbar und schön süss, freilich muss man den Kern sofort ausspucken. Der kann killen.
  • Bucheckern oder auch Buchennüssli sind - leicht - toxisch. Ausser man wird die dünne Haut los. Am besten röstet man die braunen Dinger.
  • Der Kleine Wiesenknopf ist ein idealer Aufstreu für ein Butterbrot und passt auch zu Fisch und Poulet. In der Grünen Sauce, einer Frankfurter Spezialität, ist er in der Regel drin.
  • Der Schwarze Holunder ist giftig. Gleichzeitig strotzen die Beeren vor Vitamn B und C, ein gutes Grippemittel. Was tun? Vollständig reifen lassen. Staudenteile ganz los werden. Erhitzen. Das Mus kenne ich aus meiner Kindheit, man nennt es im Appenzellerland "Holderzonne".

Dienstag, 4. Oktober 2016

Zweimal Zirkel

"Der Zirkel wird lebendig." Als ich das kürzlich draussen beim Eingang zum Flughafen Zürich las, dachte ich zuerst an Literatur. "The Circle" ist ein grossartiger Roman von Dave Eggers über eine Facebook sehr ähnliche Firma und über eine junge Frau, die dort zu arbeiten beginnt und dabei in eine Art fröhlichen Totalitarismus der kalifornischen Art gerät. Lesen! Unbedingt! Beim "Circle" am Flughafen handelt es sich aber um etwas anderes, um ein Bauprojekt nämlich. Auf dem Areal werden neue Hotels entstehen, ein Kongresszentrum, ein Gesundheitszentrum des Unispitals Zürich, dazu kommen unzählige neue Büroräume sowie Ladenlokale. Die Realisierung des Gebäudekomplexes wird gut eine Milliarde Franken kosten, Investoren sind die Flughafen Zürich AG sowie der Versicherungskonzern Swiss Life.

Montag, 3. Oktober 2016

Das Blaue Wunder aus der Nähe erleben

Ich wüsste nicht zu beziffern, wieviel Käse ich auf meinen Wanderungen schon gegessen habe - und wieviel gekauft. Regelmässig reist ein Mutschli mit mir heim, und was ich immer feststelle: Der erste Bissen ist der beste. Ich meine den Probierbissen, bevor ich das Mutschli in den Kühlschrank lege. Das liegt daran, dass der Käse im Rucksack ein wenig warm wurde und an Geschmack zulegt. Und in meinem Kühlschrank ist es eigentlich zu kalt für ihn. Sei dem, wie dem sei, Käse ist meine grosse kulinarische Liebe. Mein Langzeitding. Und daher wird es Zeit, dass ich endlich, endlich jenes Buch aus dem AT Verlag erwähne, das schon so lange auf meinem Tisch liegt. "Chäswandern" von Tina Balmer und Giorgio Hösli (Fotos) führt auf schönen Routen zu Käsereien überall im Land, wir erfahren, wo das Blaue Wunder entsteht, wo der Jakobskäse, wo der Zincarlin. Eine gute Sache.

Sonntag, 2. Oktober 2016

Ein Riesenpuff! Es stank!

Rona Diem kam diese Woche von der Alp wieder in die Stadt. Ich traf sie im Zürcher Kreis vier, wo sie wohnt, und sprach mit ihr über ihren ersten Alpsommer - was das Wetter tat, ob sie eine Lieblingskuh hatte, wie ihr Lebensgefühl auf der Alp Vereina und der Alp Peil war. Auch wollte ich wissen, ob die Stadt Rona Diem nicht wie das Paradies vorkommt angesichts der Härten des Sennenlebens. Hier ihre Antwort im Interview, das gestern erschienen ist:
Als ich zwischendurch nach Zürich kam, fand ich: ein Riesenpuff! Es stank, die Luft war mies. Auf der Langstrasse hätte ich am liebsten die Leute zusammengetrieben mit «Chumm, Chüeli, chumm, chumm». Ich ging ins Kaufleuten in ein Sophie-Hunger-Konzert. In Bergschuhen. Vielleicht roch ich nach Stall. Ich dachte: Wir sind eine Geissenherde, wie wir alle nah beieinanderstehen und in dieselbe Richtung staunen.
Soweit so gut. Doch nun stelle ich grad fest, dass das Interview gar nicht online kam, ich kann es nicht verlinken. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als hier den ganzen Text integral zu bringen.

++ «Rind 6474 war mein Liebling»
Rona Diems erster Alpsommer ist vorbei, sie ist wieder in Zürich. Was sie gelernt hat: Käsen, Melken und Töfffahren. Was sie vermisst: so vieles; sogar den hinterhältigen Hahn Napoleon.

Die Alpsaison ist zu Ende, Sie sind zurück in der Stadt. Gut geschlafen?

Sagen wir es so: Ich habe geschlafen. Ich hätte gedacht, der Stadtlärm würde mich stören. Obwohl es auf der Alp auch nicht mäuschenstill ist, man hört die Glöggli der Geissen, der Bach rauscht. In Zürich irritiert mich etwas anderes: Ich vermisse die totale Dunkelheit.

War die Finsternis auf der Alp nie unheimlich?

Die ersten Wochen schlief ich im Dachstock, überall hatte es Spinnen. Das war weit abseits meiner Komfortzone. Irgendwann merkte ich, dass die Spinnen für sich blieben und ich für mich. Wenn sich eine zu mir verirrte, konnte ich sie wegblasen. Ich entspannte mich. Die Angst war bloss eine Angst in meinem Kopf. So ist das auch mit dem Dunkel.

Wie kamen Ihnen die Städter vor, die vorbeiwanderten?
Früher war ich die Städterin, die gwundrig an der Alp vorbeizog. Heuer waren die Rollen vertauscht. Ein Beispiel: Auf der einen Alp hatten wir zwei Kühe für unseren Eigenbedarf an Milch. An ihnen lernte ich das Handmelken. Der Hirt führte mir auch kurz die Melkmaschine vor. Anderntags ging er ins Tal und kam am Abend lange nicht wieder. Die Kühe muss man im 12-Stunden-Rhythmus melken, es wurde Zeit. Und ich wurde nervös. Ein später Biker fuhr heran, um die 50, und bat um ein Glas Milch. Ich fragte nur: «Kannst du melken?» Er: «Nein, aber ich will helfen.» Wir trugen die Melkmaschine heran, ich ging die Sache Schritt für Schritt an, er schaute zu, es klappte. Wir waren beide stolz, tranken ein Bier zusammen, und ich gab ihm selbst gemachtes Joghurt mit.

Wie würden Sie das Lebensgefühl auf der Alp beschreiben?

Die Welt ist im Jetzt. Du kannst den Tieren nicht sagen: «Ich bin heute müde, ich melke morgen.» Du kannst nicht diskutieren, wenn sie in die Nachbarweide einbrechen. Du musst handeln. Es ist ein gewisser Rausch. Ein Mix aus Euphorie, Ehrfurcht und Erschöpfung. Am Abend Befriedigung ob der getanen Arbeit und darob, alle Tiere gesund wieder vom Berg runtergebracht zu haben. Vertrauen kam auf. Ich bekam das Gefühl für die Tiere, für das Wetter, Gewitter, Regen, den Bach.

Wie fühlte sich Ihr Körper an?

Er tat weh bis zum letzten Tag. Im Fitness oder Yoga in der Stadt machst du eine Übung einige Male. In der Landwirtschaft machst du eine Arbeit, bis sie fertig ist, schwere Pflöcke tragen etwa. Du stehst um fünf auf und melkst und arbeitest durch. Abends melkst du wieder. Bis alles fertig ist, ist es halb neun. Dann hast du noch nicht geduscht, noch nicht gekocht, noch nicht gegessen. Einen freien Tag gibt es nicht.

Die Stadt ist dagegen das Paradies, denkt man, wenn man Sie hört.

Als ich zwischendurch nach Zürich kam, fand ich: ein Riesenpuff! Es stank, die Luft war mies. Auf der Langstrasse hätte ich am liebsten die Leute zusammengetrieben mit «Chumm, Chüeli, chumm, chumm». Ich ging ins Kaufleuten in ein Sophie-Hunger-Konzert. In Bergschuhen. Vielleicht roch ich nach Stall. Ich dachte: Wir sind eine Geissenherde, wie wir alle nah beieinanderstehen und in dieselbe Richtung staunen.

Hatten Sie eine Lieblingskuh?

Das war 6474. Wir wussten nur die Nummern der Rinder, nicht ihre Namen. Anfang Sommer mussten wir das Vieh auf eine höhere Weide treiben. Ich rief, doch die Kühe folgten mir nicht, sie frassen lieber vom feinen Gras. Dann merkte ich, dass eine Kuh doch loszottelte, der Tross schloss sich an. Ich dachte: ui, Chueli, du Schönschti, du Beschti. Ich fing an, 6474 zu lieben. Die schöne Braune kam dann jedes Mal nah zu mir, ohne aufdringlich zu werden. Wenn sie mir folgte, folgte mir die ganze Herde.

Passierten eigentlich nie Unfälle?

Das Führen hat Grenzen, du musst als Hirtin auch Vertrauen haben. Einmal war im Bevertal Hochwasser. Der Hirt sagte: «Wenn ein Kälbli in den Beverin fällt, ist es weg.» Wir trieben die Mutterkühe über den Steg, drei Kälbli rannten ihnen nach und stürzten in den Fluss. Irgendwie retteten sie sich ans andere Ufer. Bei den Geissen gab es Verletzungen, Wunden am Euter, eine hinkte. Einer der Geissböcke brach sich das Bein. Apropos: Böcke stinken wirklich. Sie urinieren sich selber ins Gesicht und sind ums Bärtchen immer etwas klebrig.

Erlebten Sie auch einmal extremes Wetter? Stürme, Gewitter?

Anfang August stand ein extremer Temperatursturz von 15 auf etwas über 0 Grad an, der Schnee würde praktisch zur oberen Kuhweide herabkommen. Wir mussten abschätzen, ob wir die Kühe dort oben lassen konnten, einen Stall hatten wir nicht. Wir stiegen ab in die Hütte, der Himmel wurde gelb, Gewitter folgten, es stürmte und regnete die ganze Nacht heftig. Am nächsten Tag war der Bach samt dem Wanderweg ein Strom, und der Regen wollte nicht aufhören. Auch in der folgenden Nacht schliefen wir kaum. Dann wachten wir auf – und der Himmel war strahlend blau! Wir konnten an den Bergflanken ablesen, dass es unsere Kühe weiter oben knapp nicht verschneit hatte.

Gab es übersinnliche, magische Momente? Momente, in denen Sie eine Art Kraft oder so spürten?

Übersinnlich wurde mir jedes Mal zumute, wenn ich den Kopf hob und das Panorama sah, die Felsen, die Vögel, das Wetter, den Wind, den Regen, die Wolken. Wenn man das in sich hineinlässt, hat es Kraft. Die Berge, die immer da waren, das Wasser, das fliesst, die Blumen, die blühen, alles von sich aus. Das waren Momente, die mich erwischten.

Und jetzt?

Jetzt sind die Tiere nicht mehr um mich. Der Hund Roxy etwa, genannt Rox Roxenson, der Angst vor Gewittern hatte und daher immer als Erster wusste, wann eines kam. Die zutrauliche Henne Berta. Der Hahn Napoleon, der mich jeden Tag aufs Neue zigmal von hinten attackierte.

Was haben Sie auf der Alp ganz konkret gelernt?

Arbeiten mit dem Hirtenhund. Töfffahren. Käsen. Und vor allem Melken, am liebsten von Hand. Du bist ganz nah beim Tier. Es schenkt dir seine Milch. Du merkst, wie diese Tätigkeit über die Liebe funktioniert, über die Beziehung.

Wollen Sie nächstes Jahr wieder auf die Alp?

Ganz sicher. Ich ging auf die Alp, um zu lernen. Dass es mich dermassen packen würde, habe ich wirklich nicht geahnt. Ich will der Arbeit mit den Tieren, der Landwirtschaft, den Bergen in meinem Leben einen Platz geben. Ich bin Künstlermanagerin, jetzt bin ich auch Weidemanagerin.

Personeninfo:
Rona Diem (36) lebt in Zürich. Sie betreibt Kommunikation und Marketing im Kultur-, speziell im Musikbereich. Ihren ersten Alp- sommer verbrachte sie im Bündnerland: kurzer Einstieg im Bevertal, dann Alp Vereina im Prättigau, danach Alp Peil bei Vals. Auf der einen Alp hatte sie es vor allem mit Rindern zu tun, auf der anderen mit Geissen. 
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