Gesamtzahl der Seitenaufrufe

Freitag, 23. November 2018

Hinterländer Narzissmen

Kürzlich ging es hier um das Wappen von Hundwil, wo ich von 1975 bis 1981 lebte. Um das Autobiografische weiterzuspinnen: Meine ersten 12 Jahre verbrachte ich zuvor in Stein, das an Hundwil grenzt; ich bin Bürger von Stein. Die beiden Gemeinden gehören aus historischer Sicht zusammen, wie sie auch in meinem Leben gepaart sind: Stein spaltete sich 1749 von Hundwil ab. Dieses bestand zuvor aus der Oberen Rhode. Und der Unteren Rhode, heute Stein. Den Steinern wurde irgendwann der Gang in die Hundwiler Kirche zu lang. So erwirkten sie die Trennung und erbauten eine eigene Kirche. Das Wappen von Stein, siehe rechts, spricht wie das von Hundwil: Es zeigt den Appenzeller Bär, der sich an einem Stein aufrichtet. Oder ist er grad daran, an dem harten Material die Krallen zu wetzen?

Stee, also Stein. Hier bin ich Bürger.
Erinnerung aus meiner Kindheit und Jugend: Ich spürte in beiden Dörfern, was Freud den "Narzissmus der kleinen Differenzen" nannte. Der Mensch nährt sein Selbstbewusstsein zuallererst, indem er sich von seinen nächsten Nachbarn abgrenzt und irgendwie die eigene Überlegenheit definiert. So absurd das jeweilige Argument dann auch ist. Die Steiner fühlten sich damals in den Sechziger- und Siebzigerjahren klüger als die Hundwiler, weil es in Stein eine Sekundarschule gab, die auch die seklosen Hundwiler besuchen mussten; sie kamen mit dem Velo oder Töffli. Die Hundwiler, stellte ich später fest, fühlten sich urchiger als die Steiner. Traditioneller, konservativer, bäurischer. Darauf legten sie grossen Wert; sie sahen die Steiner als armselige Städter an. Bis heute ist der Unterschied der beiden Hinterländer Dörfer riesig. Auch wenn die Kirchen bloss zwei Kilometer auseinander liegen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen