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Freitag, 30. November 2018

Trouvaillen garantiert

Seit wenigen Tagen gibt es den Führer "Wanderparadies Appenzellerland 2"; der Vorgängerband erschien vor zehn Jahren und hat nun also sozusagen ein Brüederli bekommen.  Das Konzept ist dasselbe: An Text nur das Nötigste, nämlich Information zu den einzelnen Wegpunkten einer Route. Dafür sind die Fotos stark gewichtet, sie vermitteln den Überblick, liefern zudem liebenswerte Details und Sinnlichkeit. Eine gute Sache. Die Verfasser kenne ich beide: Jolanda Spengler ist auch Journalistin, wir wanderten schon zusammen. Marcel Steiner wiederum war Redaktor bei der "Appenzeller Zeitung", als ich dort in den 1980ern mein Volo machte. Heute ist er der Kopf des "Appenzeller Verlags", in dem das Buch erschienen ist. Es berücksichtigt übrigens beide Appenzell; gerade im Ausserrhodischen, das nicht so übertouristisiert ist, kann man als Wanderer manche Trouvaille machen. Der neue "Wanderparadies"-Band mit 48 Vorschlägen hilft dabei.

Donnerstag, 29. November 2018

Max, Simone, Ulrich


Ulrich Zwingli hat mich schon immer interessiert, und daher freue ich mich auf den Zwinglifilm, eine der grösseren Schweizer Filmproduktionen bis anhin. Mitte Januar des nächsten Jahres kommt "Zwingli" in die Kinos, gestern bekam ich vom Filmverleih den Hinweis, dass der offizielle Trailer jetzt vorliegt. Ich schaute mir den Clip gleich an und musste lachen: Max Simonischek, der den Zwingli gibt, hat so eine lustige Topffrisur. Wie das Reformationsdrama dann wird, ob es mich fesselt: mal schauen. Was aus meiner Sicht dafür spricht, ist der Name Simone Schmid. Sie war beim Tagi im selben Ressort wie ich, Hintergrund-Analyse, und hat das Drehbuch geschrieben. Wenn Simone draufsteht, ist die Sache gut, denke ich.

Mittwoch, 28. November 2018

Büsi freut sich sicher

Heute nur diese Aufnahme, die in der Nähe von Appenzell entstand. Ich denke, Katzen spricht der Firmenname besonders an.

Dienstag, 27. November 2018

Was für eine schöne Reise

Wiener Hauptbahnhof by night.
Okay, das Erfahrungsmaterial ist für einen Vergleich eigentlich zu klein. Und doch. Als ich am Samstag und Sonntag mit den ÖBB nach Wien und retour fuhr, war das himmlisch. Beide Knapp-acht-Stunden-Fahrten endeten ohne Verspätung. Im Waggon gab es Wireless. Das Essen im Speisewagen war wirklich gut, das Personal so was von freundlich. Und kein einziger Toilettenbesuch endete vor einem kaputten und geschlossenen WC. Es fiel mir schwer, nicht an die SBB zu denken - ich habe die Differenz zu unserem nationalen Bahnunternehmen genossen.

Montag, 26. November 2018

Dr. Widmers Allzweckmedikament

Zwischen Büel und Etzel, Blick zum Höhronen.
Auf dem Etzel. In Grau verpackt das Zürichsee-Becken.
Abstieg vom Etzel nach St. Meinrad.
Nebel auch toll: Baum weiter unten.
Am Freitag und Samstag fuhr ich je acht Stunden Zug, Zürich - Wien retour, und zwei Mal nacheinander schlief ich wenig, bloss vier Stunden pro Nacht. Gestern rappelte ich mich frühmorgens auf, fühlte mich zerschlagen und verschrieb mir gleich eine Wanderung - Dr. Widmers Allzweck-Medikament sozusagen. Von Schindellegi erstieg ich den Etzel, nahm in der Gipfelwirtschaft einen mediokren Wurstsalat, stieg wieder ab. Nicht wie zuvor einige Male nach Pfäffikon, diesmal erwählte ich mir Lachen zum Ziel. Knapp viereinhalb Gehstunden brauchte ich für die ganze Unternehmung und fühlte mich am Ende angenehm revitalisiert. Was mir am besten gefallen hat? Nein, nicht die Sonne auf dem Etzel. Sondern das Wechselspiel von Nebel und Sonne. Es war wunderschön, aus dem Grau ins Licht zu kommen. Und es war ebenso wunderschön, wieder ins Grau einzutauchen.

Sonntag, 25. November 2018

Zweieinhalb Minuten gegen ein Vorurteil


"Willkommen in der hässlichsten Stadt der Schweiz. Willkommen in Grenchen." So beginnt dieser Imagefilm von zweieinhalb Minuten, der das Gegenteil zeigen will und das durchaus schafft. Nein, Grenchen ist nicht öd, doof, langweilig. Wäre okay, wenn das Klischee gelegentlich stürbe.

Samstag, 24. November 2018

You like it?

Heute ein fotoloser Eintrag. Bin in Wien, das Hotel beim HB ist nicht unteuer, doch das Wireless-Signal im Zimmer - unbrauchbar! Hochladen müsham. Sonst alles gut, am Mittag habe ich einen Interviewtermin, ich bin beruflich hier. Gestern reiste ich mit dem Zug an, die knapp acht Stunden waren Zucker, ich hatte mir ein Erstklass-Sparticket gekauft, hin und zurück 270 Franken, günstig, finde ich. Schön, mal wieder durch Feldkirch, Bludenz, Sankt Anton, Innsbruck, Salzburg, Linz, Sankt Pölten zu gondeln und die Grösse Österreichs - rein geografisch, gell - zu erfahren. Am Abend, gleich nach der Ankunft, ging ich in der Johannitergasse essen, in «Der Ringsmuth». Ich nahm ein Backhendl, es war Spitze, ich sass wohlig an meinem Tisch, fühlte mich wie zuhause und dachte: Doch, Widmer, du bist schon fast ein Einheimischer, wie du da isst und trinkst; ein halber Wiener bist du. Hast ja auch den passenden Ösi-Akzent drauf. In diesem Moment schaute der Kellner an meinem Tisch vorbei und sagte: "You like it?"

Freitag, 23. November 2018

Hinterländer Narzissmen

Kürzlich ging es hier um das Wappen von Hundwil, wo ich von 1975 bis 1981 lebte. Um das Autobiografische weiterzuspinnen: Meine ersten 12 Jahre verbrachte ich zuvor in Stein, das an Hundwil grenzt; ich bin Bürger von Stein. Die beiden Gemeinden gehören aus historischer Sicht zusammen, wie sie auch in meinem Leben gepaart sind: Stein spaltete sich 1749 von Hundwil ab. Dieses bestand zuvor aus der Oberen Rhode. Und der Unteren Rhode, heute Stein. Den Steinern wurde irgendwann der Gang in die Hundwiler Kirche zu lang. So erwirkten sie die Trennung und erbauten eine eigene Kirche. Das Wappen von Stein, siehe rechts, spricht wie das von Hundwil: Es zeigt den Appenzeller Bär, der sich an einem Stein aufrichtet. Oder ist er grad daran, an dem harten Material die Krallen zu wetzen?

Stee, also Stein. Hier bin ich Bürger.
Erinnerung aus meiner Kindheit und Jugend: Ich spürte in beiden Dörfern, was Freud den "Narzissmus der kleinen Differenzen" nannte. Der Mensch nährt sein Selbstbewusstsein zuallererst, indem er sich von seinen nächsten Nachbarn abgrenzt und irgendwie die eigene Überlegenheit definiert. So absurd das jeweilige Argument dann auch ist. Die Steiner fühlten sich damals in den Sechziger- und Siebzigerjahren klüger als die Hundwiler, weil es in Stein eine Sekundarschule gab, die auch die seklosen Hundwiler besuchen mussten; sie kamen mit dem Velo oder Töffli. Die Hundwiler, stellte ich später fest, fühlten sich urchiger als die Steiner. Traditioneller, konservativer, bäurischer. Darauf legten sie grossen Wert; sie sahen die Steiner als armselige Städter an. Bis heute ist der Unterschied der beiden Hinterländer Dörfer riesig. Auch wenn die Kirchen bloss zwei Kilometer auseinander liegen.

Donnerstag, 22. November 2018

Rein ins Grau

Oben das Kloster Werthenstein, unten die Kleine Emme.
Überhängender Fels bei Näbdeflue.
Gestern wollte ich auf den Kronberg im Appenzellerland, Sonne tanken. Um sieben Uhr morgens sah ich im HB Zürich auf der Anzeigetafel, dass der Zug Richtung Ostschweiz eine, wie es hiess, unbestimmte Verspätung hatte. Ich wechselte auf Plan B, nahm mir eine - 1000 Meter tiefer verlaufende - Route im Kanton Luzern vor und murmelte zu mir selber: "Umarmen wir doch den Nebel!" Tatsächlich hatte ich viel Freude an der Strecke Malters - Hinder Ämmeberg - Näbdeflue - Werthenstein, für die ich 3 1/4 Stunden brauchte, ohne an irgendeiner Stelle weiter als einen Kilometer gesehen zu haben. Wie auf einzelnen Tannenzweigen Schnee lag. Wie Schafe sich aus dem Grau schälten bzw. ich mich aus dem Grau schälte, worauf die Schafe die Flucht ergriffen. Wie ich mit einem Bauer drei, vier Minuten gesprächlete. Wie einsame Hofhunde mich erfreut verbellten, endlich etwas zu tun! Wie ich zur Näbdeflue kam, einem überhängenden Nagelfluhbauch riesenhaften Ausmasses, den ich in den letzten Jahren in mehreren Wanderblogs gesehen hatte. Und wie ich wieder einmal die Lage des Klosters Werthenstein bewunderte auf seinem Felssporn hoch über der Kleinen Emme: alles grosse Dinge. Am Ende gabs Spiessli mit Kräuterbutter und Pommes Frites im Gasthaus zur Emme in Werthenstein und ein Bier, dann fuhr ich wieder heim. Nebel immer toll!

Mittwoch, 21. November 2018

Mein ÖV-Freudeli

Bald besser verbunden: Züri und Winti.
Per 9. Dezember ist Fahrplanwechsel, je nach Region und Wohnort hat da jeder sein persönliches Freudeli. Oder seinen persönlichen Frust. Mich stellt auf, dass es zwischen Winterthur und Zürich auf der schnellen S-Bahn-Strecke via Stettbach und Stadelhofen statt des bisherigen Halbstunden- neu einen Viertelstundentakt geben wird. Die Strecke ist ja so was von überlastet. Will ich von St. Gallen in meinen Wohnort Zollikerberg, werde ich in Zukunft 15 Minuten schneller sein, wenn ich via Winterthur-Zürich Stadelhofen statt via HB Zürich-Zürich Stadelhofen reise. Soweit mein ganz und gar egoistisches Freudeli.

Dienstag, 20. November 2018

Tod eines Adeligen

Eduard von Falz-Fein 1998.
(Ivanpopoff/ Wikicommons)
Gestern las ich im Internet, dass der Baron Eduard Alexandrowitsch von Falz-Fein gestorben ist. Was für ein Name, was für ein Leben! Er wurde noch im Zarenreich geboren und sah als Bub das Bernsteinzimmer, jenen Prachtraum, den der Preussenkönig Friedrich Wilhelm I. dem Zaren seiner Zeit schenkte. Im Zweiten Weltkrieg raubten die Deutschen angeblich das Bernsteinzimmer, seither ist es jedenfalls verschollen; in Sankt Petersburg ist eine Kopie zu sehen. Der Baron emigrierte nach der Oktoberrevolution nach Westeuropa und begründete in Liechtenstein eine neue Existenz. In Vaduz besuchte ich ihn vor 15 Jahren. Nun hat ein Hausbrand das 106-jährige Leben des Eduard Alexandrowitsch von Falz-Fein am 17. November beendet. 

Hier mein Artikel aus dem Nachrichtenmagazin "Facts" von 2003.
Der Bernstein-Baron 
Weltwunder - Als Kind sah er das Bernsteinzimmer. Nun feiert Eduard von Falz-Fein die Einweihung der Kopie. 
Von Thomas Widmer Das Telefon klingelt in der Villa, Baron Eduard von Falz-Fein nimmt ab und wechselt in ein hartes Französisch. Der Belgier am andern Ende der Leitung behauptet, er habe interessante Informationen zum Bernsteinzimmer. «Kommen Sie am Wochenende zu mir nach Vaduz», sagt der Baron schliesslich.
«Wie alle meine Gäste wird auch dieser abwaschen müssen. Dafür koche ich ihm ein wunderbares Abendbrot», sagt der Baron. Aber warum empfängt er den Belgier überhaupt, nachdem er in den letzten Jahren Hunderte Anrufe bekommen hat und dazu sackweise seltsame Briefe, in denen dubiose Fremde Informationen übers Bernsteinzimmer anboten? «Weil er anders als die meisten anderen kein Geld wollte.»
Eduard von Falz-Fein, Jahrgang 1912, russischer Emigrant mit einem Schuss Romanoff-Blut, Neo-Liechtensteiner mit Villa neben dem Schloss des Landesfürsten, bekannter Mäzen und Rückführer russischer Kunst nach Russland - dieser Falz-Fein ist eine treibende Kraft bei der Suche nach dem legendären Bernsteinzimmer.
Am 31. Mai wird die Kopie des Zimmers in Sankt Petersburg feierlich eröffnet. «Schröder geht hin, Putin geht hin, meine Wenigkeit geht auch hin.» Der Baron lacht, ein durchs Alter kaum gebeugter Mann im eleganten, doch sichtbar getragenen Anzug. Die Haare wellen sich im Nacken.
Er ist in Sankt Petersburg der Ehrengast. Nicht nur, weil er einige Male Suchaktionen nach dem Zimmer finanzierte, 500 000 Dollar Belohnung ausschrieb, in einer internationalen Findungskommission mithalf. Darüber hinaus ist Falz-Fein einer der wenigen, wenn nicht der einzige noch lebende Mensch, der das echte Bernsteinzimmer mit eigenen Augen sah. Jenen Prachtraum also, der vom Preussenkönig Friedrich Wilhelm I. dem Zaren Peter I. geschenkt wurde, in Petersburg noch mehr Schmuck und Verzierungen erhielt und als achtes Weltwunder zelebriert wurde, bis ihn im Zweiten Weltkrieg die Deutschen raubten.
Die Spur des Zimmers verliert sich 1945 im Schloss Königsberg in Ostpreussen, als die Engländer ihre Bomben abwarfen. All die Theorien, wie und wo es überlebt haben könnte, findet der Baron abwegig bis abstrus. «Die Belohnung liegt bereit. Aber ich werde sie nie auszahlen müssen.»
Das Zimmer sei vor Ort verbrannt, dessen ist der Baron gewiss. «Leider. Aber die Kopie ist noch schöner als das Original.»
Falz-Fein erinnert sich genau, wie er als kleiner Bub bei seinem Grossvater zu Besuch in Sankt Petersburg war. Der war Direktor des Pagen-Corps und hatte zeitweise eine Wohnung im Zarenschloss. Eines Tages nahm er seinen Enkel an der Hand und führte ihn ins Bernsteinzimmer.
«Wie das glänzte. Ich habe es nie vergessen.» Der Baron singt den Satz. Draussen vor den Fenstern ist Ländle, strömt der Rhein, glänzt der Schnee auf dem Alvier. Drinnen in der Villa aber ist Russland.
Als 1917 die Revolution kam, flohen die Falz-Feins nach Deutschland, später an die Côte d'Azur, wo der Vater eine Ferienvilla besass. Falz-Fein studierte in Nizza und Paris, wurde französischer Studentenmeister im Radfahren, zog als Sportjournalist nach Berlin, erlebte die Vorbereitung auf die Olympiade, traf Leni Riefenstahl.
Kürzlich erst hat er Riefenstahl wieder gesehen. «Ich muss sagen, sie hält sich gut», sagt der 91-Jährige über die 100-Jährige.
Nach dem Geheimnis der eigenen Vitalität gefragt, beugt er sich leicht nach vorn. «Hervorragende Frage. Ich gratuliere.»
Dann deklamiert er mit schnarrender Stimme und präzis hochdeutscher, von Österreichismen gereinigter Diktion: «Ich esse wie ein Spatz. Ich habe nie einen Tropfen Alkohol getrunken. Und ich gehe jeden Tag um neun zu Bette, lasse stets das Fenster offen und schlafe zwölf Stunden.»
Es ist klamm im staubigen Wohnzimmer voller Gemälde. Der Baron ist ein harter Sparer, überheizt nicht, gibt pro Monat bloss 70 Franken für Essen aus, zelebriert die Leidenschaft zum Geldnichtausgeben wie Dagobert Duck, lebt wie dieser allein. Die Tochter Ludmila hat längst geheiratet.
Ist er wach, hat er zu tun. Werkt in Garten und Haushalt. Und bereitet, während ihn von ihren Bildern all die Fürsten, Popen, Generäle und Nobeldamen beäugen, die Überführung der Familien-Dokumente ins russische Staatsarchiv vor, wo ein Raum wartet. Manchmal steuert er auch seinen Mercedes von der Hangvilla zu Tale und fährt etwa nach Bern zu einem Empfang der russischen Botschaft. Dort ist er gern gesehen, denn schon in der Endphase des Kommunismus begann er, Kunstgegenstände aufzukaufen und in die alte Heimat zurückzuschaffen. Präsident Putin dekorierte ihn dafür mit einem Orden.
Und als er eines Tages feststellte, dass die russische Botschaft in Bern anders als andere Residenzen keine vergoldeten Zaunspitzen hatte - hat er da nicht das nötige Blattgold herangeschafft? Ein initiativer Mann.
In der Revolution verloren die Falz-Feins, was ihre Vorfahren seit dem Urahn, einem deutschen Auswanderer des 18. Jahrhunderts, aufgebaut hatten: ihre riesigen Landgüter nahe der Krim in der heutigen Ukraine. «Askania Nova» vor allem, das den grössten Tierpark Russlands beherbergte. «Askania Nova» hat der Baron auch seine Vaduzer Villa getauft. Hier fand er nach den Jahren als Reporter - und, wie er gern verrät, glühender Playboy - Unterschlupf und Heimat, wurde 1936 eingebürgert. Eine alte Adels-Connection: Liechtensteins späterer Fürst, Prinz Franz I., war seinerzeit Botschafter Österreich-Ungarns am Zarenhof und lernte dort die Falz-Feins kennen und schätzen.
Bis heute ist der Baron für die Gastfreundschaft dankbar. Einmal im Monat nimmt er darum einen Besen, geht die 100 Meter zum nahen Bronzedenkmal des Prinzen und poliert dieses nach Kräften.
Als Mann der Tat erkannte Falz-Fein nach dem Krieg sofort, dass der Tourismus aufblühen würde. An bester Lage eröffnete er Liechtensteins ersten Souvenir-Shop und verkauft dort bis heute kleine und grosse Erinnerungen ans Ländle; aus dieser Geldquelle finanzierte er sein Engagement für die Kunst. Gründer des Liechtensteinischen Olympischen Komitees war er auch.
Und er hatte immer wieder kommerzielle Genieblitze. «Liechtenstein braucht eine Melodie», fiel ihm in den Fünfzigerjahren ein. Ein befreundeter Komponist auf Besuch nahm die Anregung auf, setzte sich an Falz-Feins Flügel und komponierte die «Liechtensteiner Polka». Ein globaler Gassenhauer, zu kaufen auch im Laden des Barons, wo 100 000 Stück der 45er-Single über den Tisch gingen. Falz-Fein ist zwar ein russischer Nobler. Hat aber den Business-Riecher eines US-Selfmademan.
Am 22. Mai schon reist er ab nach Sankt Petersburg. Im Juni, wenn er zurück ist, wird er sich der Promotion seiner Erinnerungen widmen, welche nächstens auf Deutsch erscheinen. Das Buch «Baron von Falz-Fein. Ein russischer Aristokrat in Liechtenstein», verfasst von einer Russin: ein Feuerwerk der Anekdoten, ein Defilee der Prominenten von Simenon bis Soraya, ein Schaufenster aufs turbulente 20. Jahrhundert.
Charmant auch die Prisen unfreiwilligen Humors, der aus der Distanz der Autorin zum Ländle erwächst. O-Ton über Liechtenstein: «Es ist ein Reich des Wohlstandes, es gibt keine Kriege, keine Gauner und Verbrecher, das Gefängnis steht leer.»

Montag, 19. November 2018

Oberschichtklo

Hübsches Möbel! Ich fotografierte es gestern im Freulerpalast, dem Museum des Landes Glarus in Näfels. Ich werde auf das Haus aus dem 17. Jahrhundert zurückkommen, hier vorgezogen bloss diese einzige Aufnahme: der Nachtstuhl von 1840 mit noblem, auf- und zuklappbarem Oberteil; er ist gefertigt aus Tannenholz, die Furniere sind aus Nussbaumholz. Nicht zu sehen, weil unter dem Deckel verborgen, ist der Nachttopf aus Porzellan.

Sonntag, 18. November 2018

30 Kilometer? Na ja ...

Ali Soufan 2001
in Afghanistan.
(Wikicommons)
Gestern sagte ich ab. Mir war mies, schwaderig irgendwie, beim Gedanken an die vorgesehene Wanderung mit 1300 Höhenmetern abwärts wurde mir mulmig. Ich blieb zuhause und las den Grossteil von "The Black Banners" (2011), den wahnsinnig spannenden Erinnerungen von Ali Soufan, einem der führenden FBI-Agenten zu Zeiten von 9/11 und Al-Qaida. Darin erzählt Soufan, ein Amerikaner mit libanesischen Wurzeln, wie ihm bei einem Verhör einer der Leibwächter von Usama bin Laden erzählte, in den Trainingscamps in Afghanistan habe man am Ende der militärischen Ausbildung zum Kämpfer einen 30-Kilometer-Marsch machen müssen. Ich war mässig beeindruckt, mit Stolz erinnerte ich mich an die 43 Kilometer, die wir, das Grüppli und ich, vor Jahren zurückgelegt hatten. - Allen einen schönen Sonntag! Wieso nicht mit einem tollen Buch.

Samstag, 17. November 2018

Staubig? Schön!

Ich führe dieser Tage ein staubiges Leben. Die "Schweizer Familie" feiert nächstes Jahr ihr 125-Jahr-Jubiläum, ich betreue zusammen mit der Bildchefin die Sonderseiten im Heft, die den Geburtstag feiern werden. Mehrere Male war ich jetzt im Untergeschoss unter dem Tamedia-Glashaus, wo im Archiv der Hauspost die alten Bände der Zeitschrift lagern. Was für eine Katakombe! Hier ein Müsterli unserer Kellerarbeit: die Jugendseite der "Illustrirten Zeitschrift für die Schweizer Familie" in einer Ausgabe aus dem Jahr 1897. Im Scherenschnitt sehen wir Karl und Peterchen, die Nachbars Ziege an Nachbars Hausglocke gebunden haben; jetzt dauerbimmelt es beim Nachbarn. Wie die Sache ausgeht, kann man in der ersten Nummer der SF im neuen Jahr nachlesen, dann erscheint der Jubiläumsteil. Staubiger Job? Schöner Job!

Freitag, 16. November 2018

Auf Augenhöhe mit dem Heiligen

Total ausgemergelt: Bruder Klaus (links) in der Ausstellung in Schwyz.
(Copyright: Foto Lauperzemp, Schweizerisches Nationalmuseum)
Aus welchem Grund begeisterte mich die Ausstellung "Heilige - Retter in der Not" im Forum Schweizer Geschichte in Schwyz? Ich versprach gestern, das bald darzulegen. Nun, zuallererst dies: Die Ausstellung begeisterte mich nicht nur, sie berührte mich sogar. Ich lernte viel, allein die Attribute der Heiligen, die sie kenntlich machen, sind ja eine Wissenschaft - der Doppelkamm zum Beispiel gehört zu Verena. Wie all das Zubehör mir entschlüsselt und erklärt wurde: fand ich toll. Und dann war halt für einmal das Problem behoben, das beim Wandern oft auftritt, wenn man ein Gotteshaus betritt oder in einen Bildstock linst: Oft sind die Heiligen fast nicht zu sehen, das Licht ist schummrig, oder dann ist der Heilige in einem abseitigen Winkel platziert oder zwei Meter über dem Betrachter. Manche Skulpturen sind auch gar nicht besonders gross, das kommt hinzu. Die Schwyzer Ausstellung schafft Nähe, ja Intimität: Wir können den Heiligen auf Augenhöhe gegenübertreten und kommen ihnen auf Armeslänge nahe. Das war es, was mich bewegte. Wer auch hin will, hat noch viel Zeit, die Ausstellung läuft bis in den nächsten März hinein.

Donnerstag, 15. November 2018

Ich habe einen neuen Pass

Das Forum Schweizer Geschichte Schwyz. Mit Heiligen-Ausstellung-Plakat.
Mein neuer Pass.
Ha! Jetzt bin ich stolzer Besitzer eines Schweizer Museumspasses. Gestern kaufte ich einen, im HB Zürich, ich musste am Bahnschalter das GA vorweisen und zahlte 136 Franken. Nun kann ich ein Jahr lang ziemlich viele Museen im Land gratis besuchen, das lohnt sich auf jeden Fall, vier Mal pro Jahr oder so reise ich ja allein nach Aarau, um mir dort im Aargauer Kunsthaus anzuschauen, was aktuell gezeigt wird. Den Museumspass weihte ich ein, indem ich nach Schwyz fuhr. Dort läuft im Forum Schweizer Geschichte die Ausstellung "Heilige - Retter in der Not" - sie begeisterte mich. Warum, will ich hier nächstens darlegen.

Mittwoch, 14. November 2018

Zentralschweiz meiden!

Der Bahnhof Luzern. (Wikicommons/ focus mankind)
Ein Tipp für alle Wanderer: Meidet dieses Wochenende den Bahnhof Luzern. Am Samstag und Sonntag werden dort die Weichen erneuert, bloss die Züge der Zentralbahn verkehren normal, alle anderen Züge werden durch Busse ersetzt. Das gibt sicher ein ordentliches Gedränge.

Dienstag, 13. November 2018

Tanz der Bestien

Hundwil hat einfach ein sehr cooles Wappen. Letzte Woche war ich wieder einmal in dem Ausserrhoder Dorf, in dem ich die Jahre 12 bis 19 meiner Jugend verbracht habe. Das Wappen fiel mir wieder ein, in dem der Appenzeller Bär und der Hundwiler Hund ein simultanes Tänzchen aufführen - eine Einlage auf den Hinterbeinen mit dramatisch geöffneter, drohend die Zunge zeigender Schnauze. Der rote Hund muss eine entlaufene Bestie sein, schliesse ich aus dem gelben Zackenhalsband. Freilich beruht die Szene auf einem Missverständnis. In "Hundwil" hockt der Name Hundo oder Hunto. Mit einem Hund hat er nichts zu tun. Der alemannische Begriff bezeichnete den Anführer einer Hundertschaft, von hundert Männern also. Auch nicht schlecht. Hundwil hat Kraft und Saft.

Montag, 12. November 2018

Wir hatten es schön

Auf dem Chrinenberg.
Die Höhenklink Wald (Zürcher Reha-Zentrum) von oben. 
Herbstteller im Restaurant Poo-Alp.
Später Herbst. Mit nässendem Nebel zu Beginn. Mit dem Moment, in dem beim Aufsteigen der Himmel plötzlich von Grau in ein pastellenes Blau wechselt, worauf ein paar Meter höher oben die Sonne durchbricht. Laub polstert die Wege, kühl sind die Waldwinkel, zart zeigen sich im Dunst die fernen Berge. So war es am Samstag, wir hatten es schön im Zürcher Oberland und dem angrenzenden St. Gallischen. Die Route, viereinhalb Stunden Gehzeit mit einer rechten Höhendifferenz: Goldingen, Egligen - Huzlen - Gibel - Gibelhof - Stüssel - Chrinenberg - Farneralp - Schwarzenberg - Boalp (Poo-Alp) - Vordertöss - Wolfsgrube - Ger - Sagenraintobel - Wald.
Nagelfluhflanken im Tal der Vordertöss.
Die elegante Art, den Schmittenbach zu queren. Derzeit ist er leider ein Rinnsal.

Sonntag, 11. November 2018

Justizgeschichte am Wanderweg


Dieser Hügel auf dem Himmelberg in Gonten AI heisst Hundshenki. Meine erste Assoziation, da bekanntlich das Gerücht sich hält, die Appenzeller ässen ab und zu gern einen Hund (also ich hatte noch nie einen): Stand hier ein Gestell zum Ausweiden geschlachteter Hunde? Die wissenschaftliche Datenbank ortsnamen.ch weiss mehr. Sie deutet den Flurnamen, den es übrigens in Flawil SG noch ein zweites Mal gibt, so: "Ort, an dem man im Rahmen eines Tierprozesses einen Hund henkte." Tierprozesse gab es im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Angeklagt wurden unter anderem Tiere, die einen Menschen getötet hatten; ihnen drohte bei einer Verurteilung die Hinrichtung. Zum Beispiel durch Aufhängen.

Samstag, 10. November 2018

Schon fast entschwunden

Ein schönes altes Wort für "Laden", das in dieser Bedeutung bald einmal ganz verschwunden sein wird: Handlung. Das Foto stammt von Innertkirchen BE, dort prangt die "Handlung" noch an einer Hauswand. Soweit mein sprachnostalgischer Eintrag, gleich gehts ins Zürcher Oberland.

Freitag, 9. November 2018

Mirlinda statt Marlies

Die Wirtschaft auf der Hundwiler Höhe.
Das gemütliche Innen.
Man gönnt sich was: Heimreise in
der Appenzeller Bahn.
Am Mittwoch stieg ich mit Ronja von der Zürchersmühle via Berg auf die Hundwiler Höhe, die bekanntere Variante via Ramsten ist wegen Sturmschäden gesperrt. Hernach ging es hinab nach Appenzell, insgesamt war das eine vierstündige, einigermassen anstrengende Unternehmung mit coupierten Passagen auf beiden Seiten. Aber schön wars. Der Föhn blies. Die Bächlein rieselten. Die Wolken zogen, die Wolken flogen. Und immer wieder und überall Nagelfluh. Mein persönliches Ziel war, auf dem Gipfel ein bisschen zu schauen, wie es so läuft, nachdem die schweizweit bekannte, von mir geschätzte Marlies Schoch vor zwei Jahren gestorben ist. Nun, es läuft gut, wie mir scheint. Mirlinda Fazliu hat mit ihrem Mann übernommen; die gebürtige Kosovarin arbeitet seit 15 Jahren im Betrieb, die Kinder sind in Herisau, sie ist mal dort, mal oben. Sicher ist das Wirten auf der Höhi anspruchsvoll, bei gutem Wetter rennen dir die Leute die Bude ein, bei miesem kommt keiner. Nun, so ganz stimmt das in diesem Fall nicht: Die Hundwiler Höhe hat viele Stammgäste, die zu jeder Jahreszeit kommen. Vor dem Restaurant sassen sie bereits, als wir gegen elf Uhr oben ankamen.
Föhn macht schön.

Donnerstag, 8. November 2018

Was hast du getan, Vaia!

Zuerst das Positive oder das Negative? Okay, bringen wir heute das Schlimme und morgen das Schöne. Gestern stiegen wir von Zürchersmühle auf die Hundwiler Höhe und stiegen hernach wieder ab nach Appenzell. Der Wege führte uns durch ein Katastrophengebiet. Letzte Woche, in der Nacht von Montag auf Dienstag, fegte der Sturm Vaia mit mehr als 100 Stundenkilometern über das Land. Im Appenzeller Hinterland und dem angrenzenden Teil Innerrhodens sind die Schäden besonders übel. Wir sahen Hunderte zersplitterte, geknickte, entwurzelte Bäume. Auch die Wanderwege sind ramponiert. Mancherorts hörten wir das Heulen der Motorsägen, die Waldarbeiter und Förster sind am Aufräumen. Ich zweifle, dass sie bis zum ersten Schnee fertig sind. Beim Seilpark Kronberg im Jakobsbad ist gar möglich, dass er definitiv am Ende ist. Was hast du getan, Vaia!

Mittwoch, 7. November 2018

100 Millionen Franken für den Rummelberg

Auf dem Klein Titlis, 1977. (Raimond Spekking/ Wikicommons)
100 Millionen Franken kostet die Neugestaltung des Titlis, genauer gesagt Klein Titlis, auf etwas über 3000 Metern über Meer. Und wieder einmal sind es die Basler Herzog & de Meuron, die den Auftrag erhalten haben - nichts gegen die Herren, aber gibt es eigentlich keine anderen fähigen Architekten weit und breit? Man könnte es meinen. Zum Projekt gehören eine neue Bahnstation und ein neues Restaurant. Und der markante Richtstrahlturm soll fürs Publikum erschlossen werden. Soweit das Vorhaben, das diese Woche vorgestellt wurde. Es dürfte den Titlis-Rummel souverän in die Zukunft transformieren.

Dienstag, 6. November 2018

Zufriedener November

Blüemli in Siblingen.
Weiter Himmel im Randen.
Blick vom Beringer Randenturm.
Was will man mehr im November? Wir hatten am Samstag im Schaffhausischen ein wenig Sonne, die Luft war mild, die Wälder herbstlich gefärbt. Von Beringen stiegen wir auf zum Beringer Randenturm, zogen danach über die weite Hochebene des Randen und kamen via Hägliloh und Chisling auf den Langen Randen. Hernach ging es abseits des Wanderwegnetzes durch den Schofwinkel ruppig hinab zur Alp Babental; dort, auf einer der tiefstgelegenen Alpen der Schweiz, 604 Meter über Meer, assen wir in der Bauernwirtschaft Rösti. Und hielten hernach hinüber nach Siblingen. Viereinhalb Gehstunden brauchten wir, wir trafen kaum andere Menschen, mochten das nach Wrigley-Zimtkaugummi duftende Laub und die letzten Blumen des Jahres. Was will man mehr im November?
Sauber parkiert: an der Tür zur Wirtschaft Babental.
Auch sauber parkiert: Heckspoilerauto in Siblingen.

Montag, 5. November 2018

Chapeau!

Ein Stück Chablais: das Val d'Illiez durchs Zugfenster.
 Die Bahnlinie ist Teil des TPC-Netzes.
Die Auflösung des gestrigen Rätsels: Gesucht wurde das Chablais, die Gegend südlich des Genfersees. Sie gehört zum Teil zu Frankreich. Der andere Teil aber ist schweizerisch und besteht aus den zwei Bezirken Monthey, Kanton Wallis, und Aigle, Kanton Waadt. Die zweite Weingegend, auf die das Rätsel anspielt und die fast gleich klingt wie der Name Chablais, ist das Chablis im Burgund, also in Frankreich. Und die mysteriöse Mediendienstleisterin? Das ist die TPC, das Produktions-Unternehmen des Schweizer Fernsehens, eine Tochtergesellschaft der SRG. Dieselbe Abkürzung steht auch für die Transports Publics du Chablais, mit deren Zügen man zum Beispiel nach Aigle, Villars, Leysin oder Champéry fährt. Den Namen hat das Chablais von lateinisch caput gleich "Kopf", weil es am Kopf des Genfersees liegt. So, jetzt ist alles erklärt. Die Rätselfrage fiel mir ein, als ich kürzlich mit den TPC ins Val d'Illiez fuhr. Die Lösung lieferten mir gestern: Reto Heygel, Benno Scherrer, Monika Schlatter und Andrea Tonella. Ich kann nur sagen: Chapeau!

Sonntag, 4. November 2018

Wer weiss es?

Die Abkürzung einer Schweizer Mediendienstleisterin fährt durch eine Gegend, die zum Teil schweizerisch ist und deren Lage den antiken Kopf erklärt. Die Gegend ist eine Weingegend und heisst bis auf einen Buchstaben wie eine andere Weingegend.

Soweit das heutige Rätsel. Gern wüsste ich den Namen der Schweizer Gegend. Und ja, ich weiss, dass das schwer ist. Wer die Lösung weiss, schickt mir ein Mail auf widmerwandertweiter@yahoo.de. Die Auflösung kommt morgen. Jetzt wünsche ich allen einen schönen Sonntag.

Samstag, 3. November 2018

Du Froschfresser!

Ein Franzose. Isst er die
Baguette zum Frosch?
Ein Fremdwort, das ich jüngst aufgeschnappt habe - und das mir bis dahin völlig unbekannt war: Ethnophaulismus. Es besteht aus den griechischen Wörtern ethnos gleich "Volk" und phaulos gleich "wertlos". Wenn die Engländer die Franzosen "Frogs" nennen, Frösche bzw. Froschfresser, ist das ein klassischer Ethnophaulismus. Also eine abwertende Bezeichnung der einen Volksgruppe für die andere. So, dies gesagt, wünsche ich allen einen sonnigen Samstag. Morgen gibt es ein Sonntagsrätsel, von dem ich denke, dass es schwierig ist. Aber ich kann mich täuschen.

Freitag, 2. November 2018

Körperfreude, Blüemlispass, Aussichtsbolzerei

Seit zehn Jahren hat die deutsche "Zeit" Schweiz-Seiten. Zu diesem runden Geburtstag publizierte die Zeitung diese Woche eine Sonderausgabe - 100 Expertinnen und Experten beantworten Fragen zur Schweiz. Ich wurde für die Frage Nr. 72 angegangen: Warum wandern Schweizer so gerne? Hier meine Antwort auf 1500 Zeichen; auf 15 000 wäre einfacher gewesen:
Warum wandern Schweizer so gerne?
Schweizer Paar auf dem Illhorn VS.
Ja, heieiei, weil wir das schon immer tun und unser Ländli so schön ist! Sorry, die Antwort ist blöd. Auch Länder, in denen nicht gewandert wird, haben schöne Ecken. Zudem wandern wir Schweizer noch gar nicht so lange. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit empfanden wir das Gebirge als diabolisch. Söldner, Pilger, Handelsleute durchzogen es in Angst, Sagen von bösen Geistern kursierten. Beigebracht haben uns den Landschaftsgenuss per pedes ab dem 18. Jahrhundert Deutsche. Frühtouristen wie Goethe. Den Alpinismus wiederum führten die Engländer ein. Irgendwann kamen wir Schweizer selber auf den Geschmack und verfügte auch das gemeine Volk über jene Freizeit, ohne die Abstecher in die Berge nicht möglich sind. Durch die Gründung des Bundesstaates 1848 wurde das Wandern patriotisch aufgeladen. Seither performieren wir als Fussgänger den Zusammenschluss verschiedener Kulturen und Sprachen zu einem Land; wir tun es schon als Kinder mit der Schulreise. Warum wandern wir Schweizer so viel? Darum! Und weil der Fahrplan von SBB und Postauto dicht ist und das Land wundervoll klein, sodass wir es am Abend wieder nach Hause schaffen. Wandern ist eine komplexe Sache: ein Amalgam aus Körperfreude, Freundschaft, Blüemlispass und Aussichtsbolzerei.