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Mittwoch, 20. August 2025

Vorarlberger Ideen

Einmal Pilger, immer Pilger. Seit wir letztes Jahr den Schweizer Jakobsweg machten, interessiert mich das Thema noch viel mehr als früher. Den Wanderführer, der mir unlängst zuging, habe ich denn auch mit Interesse studiert. "Pilgern in Vorarlberg" benennt viele Ziele, die ich gern ansteuern würde, einige der Routen sind auch nicht allzu weit von der Schweizer Grenze entfernt, da lässt sich etwas machen. Ich bin sicher, dass ich irgendwann mit meinem Grüppli im Vorarlbergischen pilgern werde. Zum Beispiel in der Gegend von Bregenz, wo mir das Buch eine Rundtour mit Kirchen, Kapellen und einem Kloster vorschlägt.

Freitag, 7. März 2025

Die Höhlenbrüder

Hier lebten Menschen: die Sandsteinhöhlen von Lobsigen BE.
Viel ist es nicht, was ich aus dem Buch "Ein Bauernleben auf dem Frienisberg" von Heinz Schwab erfahren habe über die Sandsteinhöhlen bei Lobsigen. Die Leserinnen und Leser dieses Blogs erinnern sich vielleicht: Wir kamen dort vor wenigen Wochen vorbei, waren vom Dutzend Höhlen im steilen Hang angetan, fragten uns freilich, wer in den Sandsteinlöchern einst lebte; dass es jemand tat, davon zeugen Bohrlöcher, die auf Türen oder auch Gestelle hinweisen, die hier montiert waren. Zurück zum Buch: Es erwähnt immerhin, dass zwei der letzten Bewohner Hans Nobs und Bänz Nobs waren, Jahrgang 1894 und Jahrgang 1897. Die Brüder verbrachten ihre ersten Jahre in den Höhlen, vor denen die Eltern aus Platzmangel – acht Kinder – auch einen Schopf gebaut hatten. Kurz vor der Jahrhundertwende zog die Familie dann in ein Heimetli im nahen Ruchwil; Buchautor Schwab, der Hans Nobs persönlich gekannt hat, vermutet, dass das nicht ganz freiwillig geschah, sondern aufgrund einer behördlichen Verfügung. Empfand man die Tatsache, dass es in der Gemeinde Höhlenbewohnerinnen und -bewohner gab, als Schande? Könnte sein. Aber das ist jetzt reine Spekulation meinerseits.

Mittwoch, 23. Oktober 2024

Goethe übt die Schwindelfreiheit

Das Strassburger Münster. 
(Foto: Gerd Eichmann / Wikicommons)
Im Sommer 1770, als junger Mann, weilt der werdende deutsche Dichter Johann Wolfgang von Goethe in Strassburg. Gezielt betreibt er dort eine Art Anti-Schwindel-Training:

"Ich erstieg ganz allein den höchsten Gipfel des Münsterturms, und sass in dem sogenannten Hals, unter dem Knopf oder der Krone, wie man's nennt, wohl eine Viertelstunde lang, bis ich es wagte, wieder heraus in die freie Luft zu treten, wo man auf einer Platte, die kaum eine Elle ins Geviert haben wird, ohne sich sonderlich anhalten zu können, stehend das unendliche Land vor sich sieht. (...) Dergleichen Angst und Qual wiederholte ich so oft, bis der Eindruck mir ganz gleichgültig ward."

Goethe übt fürs Wandern. Fürs Gebirge. Speziell auf seinen fünf Schweiz-Reisen ab 1775 wird er die Schwindelfreiheit brauchen können. Derzeit lese ich grad den ersten von zwei im letzten Jahr erschienenen Bänden über diese Reisen, es ist eine ergiebige Lektüre, speziell die vielen Zitate aus den Aufzeichnungen des bewegten Literaten faszinieren mich. Band zwei ist ein Führer durch unser Land auf Goethes Spuren, ich bin sicher, ich werde die eine oder andere Strecke nachwandern.

Donnerstag, 12. September 2024

Das Niesenrätsel

Gutes Buch!

Warum wurden am Niesen, dem Berg, der als markante Pyramide den Thunersee überragt – warum wurden am Niesen in den nicht leicht zugänglichen und steilen Flanken Mühlsteine geschlagen? Und warum blieben viele dieser Mühlsteine dort liegen, wurden also nicht zu Tale geschafft? Geschichtliche Aufzeichnungen, etwa Dokumente der Gemeinden rundum, gibt es zu dem Phänomen nicht. Der in Adelboden geborene Robert Allenbach widmet sich dem Rätsel in "Mühlsteine am Niesen", er kann es zwar nicht auflösen, dokumentiert es aber in starken Fotos und klugen Texten. Auch Karten gibt es in dem eben erschienenen Buch, sodass man sich jederzeit zu einer Mühlstein-Expedition aufmachen kann. Nun, nicht grad jederzeit, so wie's aussieht, schneit es dieser Tage weit hinab, auch die oberen Partien des Niesen, 2362 Meter über Meer, dürften weiss werden.

Samstag, 17. August 2024

Ich bin der Appenzeller Bro

Reena Krishnaraja ist eine junge Appenzeller Comedian mit tamilischen Wurzeln. Ich kenne sie nur dem Namen nach, also nicht persönlich; eben las ich mit Interesse ein Interview, das sie meiner Zeitschrift, der "Schweizer Familie", gegeben hatte. Gestern ging mir – Überraschung – ein auf der Plattform Instagram veröffentlichtes Filmli zu. Für SRF-Kultur war Reena in der Stadt Bern unterwegs mit meinen zwei Büchern über Schweizer Wunder und besuchte den Holländerturm, der in meinem einen Buch vorgestellt wird. Mich bezeichnet Reena, siehe Screenshot, als ihren "Appenzeller Bro". Ich bin natürlich geschmeichelt. Jetzt hoffe ich, dass die, die es interessiert, den Link zum Filmli öffnen können.

PS: Der Appenzeller Bro geht heute mit seinen Leuten wieder jakobswandern. Die Etappe 20 von Freiburg nach Payerne steht an.

Dienstag, 16. Januar 2024

Uääääääliiiii!

Albert Anker, Selbstporträt
von 1891. (Wikicommons)
Vor etwa 30 Jahren kursierte ein witzig-freches Wörterbüchlein namens "Züri-Slangikon"; wie ich im Internet sehe, ist es mittlerweile neu aufgelegt worden. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, kam in dem Dialektglossar die lautmalerische Wendung "em Ueli rüefe" vor für "erbrechen". Ich fand das lustig, fragte mich freilich gleichzeitig, ob das wirklich jemand sagt oder ob die "Slangikon"-Autorschaft die Formulierung erfunden hatte. Nun, gestern befasste ich mich mit dem Berner Maler Albert Anker. In einem Brief aus dem Jahr 1871 berichtet er von einer Schifffahrt über den Neuenburgersee bei stürmischem Wetter. Ein paar Leute wurden seekrank, über eine Frau schreibt Anker: "Sie hatte dem Uhli rufen müssen."

Donnerstag, 23. November 2023

Das Nelkenrätsel


Als ich die Einladung zu einer Buchvernissage im Kunsthaus Zürich bekam, meldete ich mich sofort an – das Wort "Nelkenmeister" machte mich neugierig, nie zuvor hatte ich es gehört. Vor einer Woche fand der Anlass statt, recht viele Leute waren gekommen. Im Raum stand eine Staffelei mit einem Gemälde, das im Kunsthaus normalerweise anderswo zu sehen ist, "Enthauptung eines jungen Heiligen", entstanden um 1490. Man beachte die beiden Blumen, rot und weiss, am Boden vor den Knien des Jünglings, der gleich geköpft werden wird. Es sind zwei Nelken. Um eine Signatur handelt es sich. Die Nelkenmeister waren Maler, die in den Jahrzehnten vor der Reformation in der Schweiz sakrale Werke schufen; sie alle zeichneten diese mit Nelken, die meisten Urheber sind anonym geblieben. Das Buch, das im Kunsthaus vorgestellt wurde, ist von Fachleuten geschrieben, es heisst "Die Zürcher Nelkenmeister" und spürt somit dem Zürcher Ableger der Gruppe nach. Was es mit den Nelken genau auf sich hat, was sie also bedeuten, ist bis anhin nicht wirklich klar. Reizvolles Rätsel, oder?

Sonntag, 5. November 2023

Ein Ausserrhoder im Wallis

Johann Ulrich Schiess, Schweizer
Bundeskanzler von 1848 bis 1851.
(Wikicommons)

Ich habe die "Appenzellischen Jahrbücher" der "Appenzellischen Gemeinnützigen Gesellschaft" abonniert. Jahr für Jahr wird darin in Kürze berichtet, was in den einzelnen Gemeinden so passiert ist von Hausbrand bis Steuererhöhung; auch die Nekrologe sind für mich interessant, da ich doch die eine oder andere verstorbene Person kannte. Auch werden historische Stoffe abgehandelt. Grad eben ging mir die Jahrbuch-Ausgabe 2023 zu, ich las darin vorerst  ein Porträt des ersten Bundeskanzlers der Schweiz, eines Appenzellers, Johann Ulrich Schiess aus Wald AR. Besonders sprachen mich die beigestellten Auszüge aus dem Tagebuch von Schiess an. Hier etwas Kurzes darüber, wie Schiess 1851 vom Genfersee in der Postkutsche Richtung Wallis reist. "St. Mauritze" ist natürlich St-Maurice, "Martinach" Martigny.

"Um 9 Uhr mit der Post von Lausanne nach St. Mauritze. Allein in Aigle, wo mich ein natürliches Bedürfnis, das selbst der Papst zu befriedigen gezwungen ist, aus dem Wagen trieb, hatte der Conducteur nicht die Geduld auf mich zu warten, sondern eilte von dannen; ich miethete dann einen Einspänner bis Martinach, welcher Spass mich für diese 6 Stunden 18 ffr. kostete. Das herrlichste Wetter, der Anblick der wunderschönen Natur und der lieblichen Dörfer Montreux, Yvorne, Bex entschädigte mich für die erlittene Unbill."

Montag, 30. Januar 2023

Eine andere Welt

Margaret Cavendish auf einem
Gemälde von Peter Lely, 1665.
(Quelle: Wikicommons)
Eine junge Frau wird entführt. Das Boot treibt zum Nordpol, der Entführer und die Besatzung erfrieren, die Frau aber gelangt in die "Blazing World" (Gleissende Welt), die an unsere Welt grenzt. Wesen in Tiergestalt von beachtlicher Intelligenz leben dort. Die junge Frau heiratet den König, der über sie herrscht, und macht sich daran, die fremde Welt samt ihren Geschöpfen, Mentalitäten und Wissenschaften systematisch zu ergründen und … (an dieser Stelle lasse ich sehr vieles aus) … bricht am Ende mit einer beachtlichen Streitmacht auf zur Reise zurück in ihre alte Heimat, die von feindlichen Mächten angegriffen wird.

Ich bin fasziniert von "The Blazing World", einem Text von 1666, der als eine der ersten oder gar die erste Science-Fiction-Geschichte der Menschheit gilt; natürlich kann man sich fragen, ob die Kategorie passt. Auch ein feministischer Text ist dies mit einer Heldin, die ihre eigene Meisterin ist und eine grosse Denkerin, ausgestattet mit einem alles wissen wollenden Intellekt. Das trifft auch auf die Autorin zu: Margaret Cavendish, Duchess of Newcastle, war Schriftstellerin, Philosophin und Naturwissenschaftlerin und publizierte Fiktionales ebenso wie Reden und naturphilosophische Erwägungen. Ihre fantastische Geschichte von der Reise in eine andere Welt hat mich gefesselt, wobei ich mit dem altertümlichen Englisch zu kämpfen hatte. Ging aber schon. Ich empfehle die Lektüre allen, natürlich gibt es Übersetzungen ins Deutsche.

Titelseite der Ausgabe von 1668.
(Wikicommons)

Dienstag, 13. September 2022

Napoleon und das Maultier

"Bonaparte franchissant le Grand-Saint-Bernard" von
Jacques-Louis David, 1800. (Wikicommons)

Im Mai des Jahres 1800 überquert Napoleon Bonaparte am Grossen Sankt Bernhard von Lausanne kommend die Alpen, bald darauf wird er am 14. Juni bei Marengo in Norditalien den österreichischen Truppen eine schwere Niederlage zufügen. Was ist wahr am Gemälde von Jacques-Louis David, das Napoleon am Berg zeigt? Nun, das Kunstwerk ist Propaganda von der grossen Pose bis ins Detail. So hat sich Napoleon zuvor gern als Schlachtenführer konterfeien lassen mit gezogenem Degen. Neuerdings ist ihm das zu kriegerisch, denn er hat vom Militär in die Politik gewechselt und ist nach einem erfolgreichen Staatsstreich seit einem halben Jahr Erster Konsul der Republik Frankreich. Dass er immer noch in die Schlacht zieht, ist eigentlich nicht vorgesehen, denn er ist nicht mehr General. Seiner neuen offiziellen Rolle entsprechend – Politiker, nicht Militär – will er nicht mehr mit der Waffe in der Hand dargestellt werden. Vor allem aber hat Napoleon den Grossen Sankt Bernhard nicht auf einem Pferd überquert. Sondern auf einem Maultier, das von einem Bergführer gelenkt wird. Er ist in hässliches Ölzeug gekleidet, des Wetters wegen. Am Pass stürzt er beinahe in einen Bach, als sein Maultier ausrutscht. Der Bergführer bewahrt ihn vor der Peinlichkeit, wofür er später mit einem prachtvollen Maultier belohnt wird, bis anhin hat er kein eigenes besessen. Die französische Öffentlichkeit hat fortan aufgrund des Werks von Maler David das Bild von Napoleon im Kopf, wie er heroisch im Sattel seines Pferdes über die Alpen reitet, es ist eines von vielen gezielt geschaffenen und verbreiteten Bildern. So las ich es eben in der Biografie des Polen Adam Zamoyski, die insbesondere darlegt, wie Napoleon das eigene Image gezielt steuerte.

Freitag, 2. September 2022

Drängeln am Berg

Die Britin Lucy Walker (hinten). 1871 war sie die erste Frau auf dem Matterhorn. 
Die Aufnahme entstand ein Jahr zuvor und zeigt sie mit Familie, Freunden und Bergführern.

Das Matterhorn bröckelt mehr als auch schon, die Steinschlaggefahr ist grösser denn je, der Fels zunehmend instabil. Das bedeutet Stress für die, die den Viertausender erklettern – man will möglichst schnell rauf und wieder runter. Gestern las ich in der NZZ eine dichte Reportage, den Erfahrungsbericht eines Alpinisten, der mit seinem Führer am Matterhorn gleich an einigen Stellen erlebt, wie sich der Zeitdruck auf die Seilschaften, ihr Verhalten, die Sicherheit auswirkt. Hier nur ein Zitat, der Artikel ist freigeschaltet.

"Ein auswärtiger Bergführer klettert mit seinem Gast hinter uns her. Er drängelt. Immer mehr kommt er mir von unten so nahe, dass er mit seinen Händen Griffe in Anspruch nimmt, die ich gerne als Tritte verwenden würde. An den Haken verknoten sich unsere Seile."

Montag, 25. Juli 2022

Wengen und das Loch

Wengen und die Jungfrau. Mit dem Sechseck habe
ich den Giessengletscher markiert. Das Kriegsloch
ist auf der Landeskarte nicht angeschrieben.

Vom Berner Oberländer Tourismusdorf Wengen aus sieht man im Giessengletscher unter dem Jungfraumassiv einen schwarzen Fleck. Die Lücke im Eis werde, las ich eben, "Kriegsloch" genannt; sie fülle sich immer dann mit Eis auf und werde unsichtbar, wenn irgendwo auf der Welt Krieg ausbricht. So sei das schon vor 300 Jahren gewesen. Nun war ich ja letzte Woche in Wengen und hatte besagten Gletscher vor mir. Doch weil ich nicht nach dem Loch suchte, von dem ich da noch nichts wusste, kann ich nicht sagen, ob es derzeit zu sehen ist. Oder – Stichwort "Ukrainekrieg" – nicht. 

In der "Berner Zeitung" kam 2008 ein langer Artikel zum Thema. Und es widmet sich diesem gar ein Buch. Ein zeigbares Foto des Loches habe ich nicht. 

Sonntag, 3. Juli 2022

Kollerhupf

Arosa auf einem Luftbild von Walter Mittelholzer, 1927.
(Foto: ETH-Bibliothek/Wikicommons)

Ich bin ans Arosa Mundartfestival eingeladen, das Anfang Oktober stattfindet. Nicht in erster Linie als Wanderer, sondern als Wörtersammler, also aufgrund meines letzten Buches "Mein Wortschatz". Soeben kaufte ich mir, quasi zur Einstimmung auf Arosa als Ort und Gegend, das Buch "Aroser Orts- und Flurnamen", vielleicht fliessen aus ihm gleich ein paar Wörter in meinen Kopf und Auftritt ein. Jedenfalls ist der hübsch bebilderte Band anregend. Hier drei sinistre Flurnamen:

  • Kollerhupf. Unterhalb des Weisshorns. Dort stürzte ein Skirennfahrer namens Koller ins Leere.
  • In der Rettich. Ebenfalls am Weisshorn. Dort verunglückte 1944 der Skifahrer Rettich.
  • Vikar. Nah beim Schwellisee. Dort geriet der katholische Vikar Tönz in ein Schneebrett und starb.

Sonntag, 26. Dezember 2021

Archeologia rupestre

Als ich gestern nach der Weihnachtsfeier im Familienkreis wieder Richtung Zollikerberg fuhr, war mein Rollköfferli gut gefüllt mit Geschenken. Teure Pralinen aus Berlin, "Appenzeller" von der Schaukäserei in Stein, ein Mocken Mostbröckli vom Metzger Heis in Walzenhausen, ein Kalender fürs nächste Jahr mit Schweizer Bergszenen. Freude bereitet mir auch jenes Buch, das ich mir gezielt gewünscht hatte. Der Autor Franco Binda hat in jahrzehntelanger Arbeit im Tessin und in Südbünden Steine aufgesucht und katalogisiert, auf denen die Menschen der Prähistorie und folgender Zeitalter Zeichen hinterlassen haben, Kreuze, Schalen, Strichmenschlein, Sonnen, Sterne und so weiter. In "Il mistero delle incisioni. Archeologia rupestre nella Svizzera Italiana" breitet er seine schönsten Funde aus, erzählt zu jedem eine kleine Geschichte und deutet mit jener Zurückhaltung, die den Forschergeist vom Esoschwärmer scheidet. Auch die jeweiligen Koordinaten liefert Binda, bereits habe ich mir ein paar Orte herausgesucht, die ich bald besuchen will. Neu war mir übrigens im Untertitel des Buches das Adjektiv "rupestre". Lateinisch "rupes" bedeutet Fels, weiss ich unterdessen. Das Buch heisst somit auf deutsch: "Das Rätsel der Gravuren. Felsarchäologie in der italienischen Schweiz". Ich bin sicher, es wird in diesem Blog den einen oder anderen Eintrag zeitigen.

Samstag, 27. November 2021

"III. Stock links ist lohnend"

"Gezinkt"sind Karten, die jemand mit unauffälligen Markierungen versehen hat, was heisst, dass dieser Jemand weiss, welches Blatt die anderen in der Runde halten. Das Substantiv zum Verb, "Zinken", kommt vielleicht von lateinisch "signum", Zeichen. Eventuell aber auch vom althochdeutschen "zinko", Spitze. Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit war bis zu ein Zehntel der Menschen in Europa das ganze Leben oder doch jahrelang unterwegs. Auf viele dieser Leute wartete nirgendwo ein Zuhause, sie hatten kein festes Einkommen und wurden immer wieder mal vertrieben oder gar gejagt. Manche bettelten, andere ergaunerten sich Nahrung oder Geld. Mit Zinken, festgelegten Geheimzeichen, brachte das fahrende Volk an manchen Häusern Zeichen an. Sie deuteten an, was dort zu erwarten bzw. zu holen war. Hier eine Liste gängiger Zinken, die ich kürzlich im Buch "Landauf-Landab ... mit Gauklern, Quacksalbern und Gemeinen Fräulein" fand, erschienen 1985 in der Edition Erpf. Und damit fertig, jetzt muss ich mal vors Haus, den Türrahmen inspizieren, obs dort seltsame Kreidemarkierungen gibt.

Sonntag, 8. August 2021

Mal schluckt sie, mal spuckt sie

Der Creuxgenat-Quelltrichter
kurz nach einer Ausschüttung von Wasser.
(Bild: Freak-Line-Community / Wikicommons)
Kürzlich widmete ich mich während einer Stunde einer Neuerscheinung, "Quellen der Schweiz", erschienen im Haupt Verlag. Das grosszügig bebilderte und illustrierte Buch begeisterte mich durch die Breite seines Ansatzes. Es geht um die Schweiz als Wasserschloss Europas. Um Quellen als Sinnbild für die Essenz des Lebens. Um Quellen als Energiequellen. Um die Organismen, die am Wasser gedeihen. Um heilende Wasser und die Ursprünge touristischer Badebetriebe. Und und und. Einige Dinge im Buch sind mir völlig neu. Zum Beispiel hatte ich nie zuvor das Wort "Estavelle" gehört. Es bezeichnet eine unterirdische Höhle, die mal spuckt und mal schluckt, je nach Jahreszeit und Wetter also Grundwasser von sich gibt oder Oberflächenwasser absorbiert. In Chevenez im Kanton Jura gibt es eine solche Estavelle namens Creugenat oder Creux-Genat. Wenn sie von unten unter Druck steht, drückt sie das überschüssige Wasser unter grossem Lärm ins Freie. So unheimlich erschien das Phänomen den Menschen der frühen Neuzeit, dass sich das Bistum von Basel einst einschaltete, eine Untersuchung veranstaltete und zwei Männer verhaften liess, die unter der Folter prompt gestanden, dass hinter dem Gebrüll Hexerei stehe. Ich habe mir Le Creugenat als Wanderziel notiert. Allerdings wäre es Zufall, wenn die Quelle genau dann Geysir spielen würde, wenn ich vor Ort bin.

Dienstag, 2. März 2021

Die Germanenfrisur

Odoaker (l.) nahm den Römern Rom. Und Theoderich
nahm Odoaker Rom. (Wikicommons)
Gerade lese ich Felix Dahns historischen Roman "Ein Kampf um Rom" von 1876, eine teutonisch wallende, in die Zeit des sechsten Jahrhunderts zurückblendende Geschichte, die mit dem Tod des grossen Ostgoten Theoderich im Jahr 526 beginnt; es geht um den Untergang ebendieser Ostgoten und ihres Reiches auf dem Gebiet Westroms mit Zentrum in Ravenna. Die ersten Seiten inszenieren die nächtliche Zusammenkunft von vier ostgotischen Recken, die sich sorgen, derweil ihr verehrter König dem Tode nahe ist. Die Ostgoten, muss gesagt sein, waren Germanen. Einer der Männer im Quartett ist so beschrieben: "Sein schlichtes, hellbraunes Haar war über der Stirn gradlinig abgeschnitten: eine uralte germanische Haartracht, die schon auf römischen Siegessäulen erscheint." Bei diesem Satz musste ich grinsen. Ich hatte nämlich grad eben ein wenig über Theoderich und sein kurzlebiges Reich nachgeforscht und sein Bild auf einer Münze der Epoche erblickt. So ist er dargestellt: schnurgerad geschnittene und horizontal über die Stirn gezogene Linie lockiger Haare. Auch Theoderichs Schnurrbart ist durchaus typisch, die Germanen unterschieden sich von den Römern dadurch, dass sie in der Regel ebenso unrasiert waren wie ihre Kontrahenten rasiert; jedenfalls beschrieben es die Römer so und bemühten so das Klischee des germanischen Barbaren. Der Germanenherrscher Odoaker, den Theoderich eigenhändig ermordete, sieht auf Münzen ganz ähnlich aus. "Ein Kampf um Rom" kann ich übrigens nur empfehlen, man bekommt durch die Lektüre ein Gefühl für die reichlich unübersichtliche Zeit der Völkerwanderung.
Theoderichs Grabmal in Ravenna. (Foto: Wilfred Krause / Wikicommons)

Dienstag, 8. Dezember 2020

Petrini legt vor

Mit 58 lässt sich Bruno Petrini pensionieren. Dann wird gewandert. Vorerst steuert er 2008 von Bern aus die Hauptstädte der benachbarten Länder an: Wien, Rom, Paris, Vaduz, Berlin. Als die entsprechenden Routen bewandert sind, macht er weiter. Und immer führt er Tagebuch in einem hübsch lakonischen Stil. Wanderfreund und Verleger René P. Moor hat Petrinis Einträge als Buch herausgegeben, so dass wir zwölf Zu-Fuss-Unternehmungen nachvollziehen können. Was mich angeht: Ich bin 58. Eine Pensionierung kommt aus finanziellen Gründen nicht in Frage. Aber vielleicht mach ichs ja mit 65 nach. Petrini hat jedenfalls vorgelegt.

Freitag, 11. September 2020

Tödlicher Hummelhonig

Blauer Eisenhut, die aufgeschnittene Blüte.
(Foto: Franm Vincentz/Wikicommons)
Als Herakles den Wachhund Cerberus aus der Hölle entführt, ihn mit Gewalt ans Licht zerrt, da geifert das Monster reichlich. Aus dem Speichel, der zu Boden tropft, wächst eine teuflisch schöne neue Blume: Aconitum. Dies der Mythos. Gestern war in der NZZ dem Blauen Eisenhut - so der deutsche Name des Gewächses - eine Seite gewidmet, die ich mit grossem Interesse las, schliesslich begegne ich dem Blauen Eisenhut, der giftigsten Pflanze Europas, beim Wandern sehr oft. Finster die Geschichten, die in dem Artikel erzählt werden. 1817 zum Beispiel tun sich zwei Urner am Honig eines Hummelnestes gütlich. Der eine Mann wird schnell von Benommenheit, Brechreiz und schaurigen Krämpfen heimgesucht, der andere stirbt kurz nach dem Verzehr. Die Hummeln, die den Honig gesammelt hatten, waren Eisenhuthummeln, die mit ihrem besonders langen Rüssel auf die verschlungenen Blüten der Giftpflanze spezialisiert sind. Normale Bienen ignorieren den Blauen Eisenhut. Gute Sache, ich kann also weiterhin gefahrlos Bienenhonig essen.

Dienstag, 25. August 2020

Hommage an die Beduinen

Einige von Thesigers Reisegefährten, von ihm fotografiert.
Rub al-Chali, leeres Viertel. So heisst die grösste Sandwüste der Erde im südlichen Teil der arabischen Halbinsel. Sie misst 680 000 Quadratkilometer. Zum Vergleich: Die Schweiz hat eine Fläche von 41 000 Quadratkilometern. Briten waren es, die als erste Nichtaraber den Rub al-Chali durchzogen; Bertram Thomas tat es 1930/31, St. John Philby 1932. Nach dem Zweiten Weltkrieg dann machte sich Wilfred Thesiger auf. Seine Expedition von 1946 - er ritt mit einheimischen Beduinen - finanzierte er, indem er für eine Anti-Heuschrecken-Organisation (Heuschrecken sind eine gefürchtete Plage) geografische Erkundungen vornahm und nach potenziellen Brutgebieten forschte. Derzeit lese ich mit Genuss Thesigers Reisebericht "Arabian Sands", eine Hommage an die beduinische Lebensweise, die mittlerweile praktisch untergegangen ist oder zumindest so ganzheitlich nicht mehr existiert. Thesigers Beduinen sind Leute, die praktisch nichts besitzen, sich jederzeit gern einem Raubzug gegen einen fremden Stamm samt Niedermetzelung aller Gegner anschliessen, die aber auch eine geradezu absurde Grosszügigkeit an den Tag legen und für ihre Gäste und deren Schutz jederzeit ihr Leben geben. Es sind die Porträts dieser Menschen, die das Buch grandios machen.
Sanddünen des Rub al-Chali. (Nepenthes/ Wikicommons)