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Donnerstag, 30. November 2017

Acht mal Wallis

Wie gestern berichtet, machte ich am Dienstag eine Rundwanderung ab Saillon, einem Dorf zwischen Sion und Martigny. Drei Stunden dauerte diese bei je 500 Höhenmetern auf und ab, hier die Route: Saillon, Collombeyres (Bus) - Saillon, Bourg - Saillon, Kirche - Saillon, Tour Bayart - Aux Corbassières - Passerelle à Farinet - Les Places - Montagnon - Produit - Saillon, Les Moulins - Salentse-Schlucht-Weg - Saillon, Les Moulins - Saillon, Les Bains (Bus). Und jetzt möchte ich die Fotos erzählen lassen.
Saillon ist im Kern ein Bourg, ein Mittelalterstädtchen auf einem Hügelsporn.
Steil geht es auf einem Fusspfad mit Geländer hinauf. Links die Tour Bayart.
Die Tour Bayart vom Nachbarhügel (Blickrichtung Martigny). Nicht zu sehen:
Vor dem Turm klafft ein Geländeloch. Meterhoch die Tritte der Direttissima,
auf beiden Seiten ist sie mit Ketten gesichert. Das ist nicht ungefährlich.
Von der Tour, die man innen über Wendeltreppen und Steintreppen ersteigt,
hat man Rundsicht. Hier der Blick das Rhonetal hinauf Richtung Sion.
Einige Zeit später in den Reben. Unten wieder die Tour Bayart.
Die Passerelle à Farinet. Der Tiefblick in die Schlucht ist schwindelerregend.
Am einen Ende sass ein Trüppchen Walliser Wanderer und becherte vergnügt.
Wieder unten in Saillon  an der kanalisierten Salentse. Ihr entlang ging ich in die
Schlucht. Dort liegt die Thermalquelle des Bades, für das Saillon bekannt ist.
Hübsches Treppli in der Schlucht. Deren Unterteil ist touristisch hergerichtet.
Am Ende war die Sonne weg. Hier noch einmal der Bourg von Saillon
mit der Tour Bayart. Sieht aus wie Sions Stadtberg Tourbillon, fand ich.

Mittwoch, 29. November 2017

Der Geldfälscher und seine Hängebrücke

Gestern war ein guter Tag. Ein sehr guter Tag. Um 6 Uhr 40 traf ich im HB Zürich anhand der Wetter-App auf meinem Handy die Entscheidung: ab ins Wallis, zur Restsonne! Tatsächlich hielt die Sonne praktisch bis zum Ende meiner dreistündigen, abenteuerlichen, von Kettensicherungen, steilen Stufen, abrupten Steigen und sogar einer Leiter geprägten Rundwanderung ab Saillon durch. Mehr zur Route morgen, vorgezogen will ich hier bloss eine der Entdeckungen präsentieren, die ich machte: die Passerelle à Farinet, die bei Saillon auf 136 Metern über Grund die Schlucht der Salentse überquert. Benannt ist diese neuzeitliche Hängebrücke, bien sûr, nach dem Walliser Ur-Schlitzohr, dem Geldfälscher Joseph-Samuel Farinet; er fand auf der Flucht vor seinen Häschern in der Salentse-Schlucht 1880 sein Ende. Zeitweise sollen in der Schweiz ein Drittel aller kursierenden Zwanzigräppler Fake-Exemplare aus Farinets Werkstatt gewesen sein.

Dienstag, 28. November 2017

Das Namensrätsel

Zusammengebaut: Helmhaus und Wasserkirche. Hinten der eine Turm
des Grossmünsters. (Bild: Roland zh/ Wikicommons)
Kennen alle das Helmhaus in Zürich, das nördlich an die Wasserkirche angebaut ist und als städtische Kulturinstitution zeitgenössische Kunst zeigt? Schon lange fragte ich mich, woher der Name stammt. Wen könnte man Berufeneres fragen als Anna Pia Maissen, die Stadtarchivarin von Zürich. Sie hat umgehend geantwortet, was ich sehr freundlich finde, und geht dabei in die Vollen. Die Sache ist nämlich nicht eindeutig, "nun, es ist kompliziert", leitet Maissen ihr Mail ein und listet danach die Theorien auf, natürlich unter Angabe der jeweiligen Quelle. Hier die Möglichkeiten:
  • "Helmhaus" könnte von "hellen" gleich "hüllen" stammen; gemeint wäre die kleine Vorhalle vor der Wasserkirche, die schon früh entstand. Später wurde sie durch einen Anbau zum Helmhaus ergänzt.
  • "Helmhaus" könnte abgeleitet sein von "hehlen" gleich "schützen"; das Verb ist von derselben Wurzel abgeleitet wie "Helm". Das Helmhaus schützt helmartig die Wasserkirche. 
  • "Helmhaus" könnte aber auch zurückzuführen sein auf die Masseinheit der Elle; andere Wortformen sind Ell, Eln, Heln, verwandt mit lateinisch "ulnea". Der frühere gedeckte Markt an diesem Ort, zeitweise ein Tuchmarkt, stellte das Urmass der Zürcher Elle zur Schau. So konnte jeder kontrollieren, dass man ihn, etwa beim Abmessen von Tuch, nicht mit einer falschen Kopie der Elle betrug. Das Helmhaus wäre aus dieser Warte das Ellenhaus.
Interessant, oder? Schade finde ich, dass das Helmhaus selber auf seiner Homepage mit keinem Wort auf den eigenen Namen eingeht.

So, gleich gehe ich auf den Zug. Es geht ins Wallis. Oder an den Neuenburgersee. Oder nach Wolhusen im Luzernischen. Entscheiden werde ich spätestens im HB Zürich.

Montag, 27. November 2017

Die Glocke von Stein

Die Glocke der Thelema rief die Anhänger jeweils zu Gebet und Messe.
Ein Sakralschurz, geschneidert von einer Ordensfrau.
Gut 50 Jahre lang gab es in Stein im Appenzellerland, Dorf meiner Jugend und mein Bürgerort, im Gasthof Rose die "Abtei Thelema". Der dort residierende okkulte Orden namens "Psychosophische Gesellschaft" war - sagen wir mal - zu einem Drittel unheimlich und zu zwei Dritteln lächerlich, im Nachhinein betrachtet. Es wurden im Keller Messen gefeiert, die Hierarchen trugen dabei fantasievolle Gwändli, man vernetzte sich international mit anderen Gruppen wie den Templern und den Freimaurern. Im Zentrum stand ein verkrachter, vormals in Zürich wegen Betrugs gebüsster Graphologe, der es verstand, sich Leute, vor allem Frauen, gefügig zu machen und diese emotional und auch finanziell zu vampirisieren - ein klassischer Sektenmechanismus. Das alles ist seit gut zwei Jahrzehnten Vergangenheit, der Guru längst ebenso tot wie eine Handvoll Leute des engeren Kreises, deren Seelen nachhaltig ruiniert wurden. Tausende Dokumente, Schriften und Objekte der sich am englischen Magier Aleister Crowley orientierenden Abtei lagern heute unter dem Namen "Collectio Magica et Occulta" in der Ausserrhoder Kantonsbibliothek in Trogen. Ich schrieb im Tagi diesen Sommer einen Artikel über die merkwürdigen Thelemisten von Stein, die von den Einheimischen stets als Fremdkörper empfunden wurden, und bloggte auch zum Thema. Nun, da in Stein im Appenzeller Volkskundemuseum eine aus dem Fundus der erwähnten Collectio gespiesene Ausstellung angelaufen ist, ging ich mir diese - das war vorgestern - anschauen. Ausgestellt sind Kultgegenstände und -gewänder, dazu Bücher aus der Bibliothek des Ordens, Fotos, Zeitungsartikel sowie die abtei-eigene Glocke, die Sakralanlässe einläutete. Mein Eindruck nach dem Besuch der Ausstellung ist derselbe wie nach der Lektüre des kundigen Buches der Historikerin Iris Blum: Die Leute von der Rose waren wirre Charaktere. Aber sie waren es mit Methode und Beharrlichkeit, so dass sich die Psychosophische Gesellschaft ein halbes Jahrhundert halten konnte.
Das Appenzeller Volkskundemuseum in Stein AR mit dem Plakat
zur gegenwärtig laufenden Ausstellung "Tu, was du willst".

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Sonntag, 26. November 2017

Das Tannzapfenprojekt

Dieses sauglatte Tourismusangebot auf der Rigi gibt es schon länger.
Diese Woche online gelesen: Den Rigibahnen lief es letztes Jahr sehr gut, für 2016 resultierte ein satter Gewinn. Nun fasst das Zentralschweizer Unternehmen ein ehrgeizigeres Management der Regen- und Schlechtwetter-Tage ins Auge, auf dass auch bei durchzogenem Wetter viele Leute auf den Berg reisen. Drei Stichworte: Auf Rigi Kaltbad soll ein Baumhüttendorf entstehen, in dem Gäste übernachten können (okay, möglicherweise zieht das). Auf Rigi Staffel will man ein "Swissness"-Bergdorf mit Schauwerkstätten hochziehen (klingt ein wenig nach Ballenberg, oder?). Und auf Rigi Scheidegg ist eine meterhohe Aussichtsplattform geplant. Sie soll die Gestalt eines Tannzapfens haben (oh Graus). Hoffentlich ist das Ding wenigstens nicht aus Plastik.

Samstag, 25. November 2017

Alles so schön durchnummeriert

Der neue Netzplan. Wer ihn studieren will, hier der Link.
Gelesen, gesehen, gehört? Auf den Fahrplanwechsel am 10. Dezember führen die SBB neue Bezeichnungen für die grossen Bahnlinien durchs Land ein. Diese bekommen Nummern grad wie die Autobahnen oder die S-Bahn-Linien. Zum Beispiel:
  • IC 1: Genf Flughafen - Bern - Zürich - St. Gallen
  • IC 2: Zürich - Zug - Lugano
  • IC 3: Basel - Zürich - Chur
  • IC 4: Zürich - Schaffhausen.
Mir gefällt das. Es hat etwas bubentraumartig Aufgeräumtes, Adrettes, Ordentliches, Soldatisches. Alles so schön durchnummeriert. Antreten zum Appell, Bahnlinien!

Freitag, 24. November 2017

Hackbraten am Röstigraben

Ein Teil des Alpenkranzes, gesehen vom Waldrand oberhalb Heitiwil FR.
Schloss Balliswil. Es ist Privatbesitz.
Ein Nachtrag bzw. eine Präzisierung zu gestern, als ich vom Grandfey-Viadukt erzählte: Die Wanderung, in deren Rahmen ich den Viadukt bewanderte, dauerte 3 1/2 Stunden, es ging je knapp 300 Meter aufwärts und abwärts; ich zog von der Freiburger S-Bahn-Station Poya zum Murtentor, nach Le Palatinat und Grandfey, überquerte auf besagtem Viadukt den Schiffenensee und setzte via Balliswil, St. Wolfgang, Jetschwil, Heitiwil, Farneraholz, Bethlehem, Ochsenried fort nach Schmitten. Dort ass ich im Restaurant Kreuz zu Mittag und beendete die Wanderung am unterhalb des Dorfes gelegenen Bahnhof. Soweit die Fakten. Aber natürlich ging es auch bei dieser Wanderung in erster Linie um Gefühle und Stimmungen und interessante Dinge. Zum Beispiel war mir das Murtentor, das zu Freiburgs mittelalterlicher Befestigung gehört, bisher kein Begriff gewesen; was für eine massive Anlage es ist mit dem darüber aufragenden Turm! Wunderschön dann viel später der Blick vom Waldsaum oberhalb Heitiwil zum Alpenkranz. Und im Kreuz hatte ich einen sehr guten Rindshackbraten. Das sind Eindrücke, die mir von der Route am Röstigraben bleiben werden.
Der Murtentor-Turm in Freiburg (links) ist 34 Meter hoch und fast 600-jährig.

Donnerstag, 23. November 2017

Unter der Brücke über die Brücke

Gestern im Grandfey-Viadukt, Kanton Freiburg. Die Bahn verkehrt eine Etage höher.
Anrufen statt springen: eine gute Idee.
Gestern kam ich endlich dazu, mir den Grandfey-Viadukt vorzunehmen; schon lange steht er auf meiner Wunschliste. Es handelt sich um jene Eisenbahnbrücke, auf der man zwischen Düdingen und Freiburg den Schiffenensee überquert - also den Röstigraben. Ich wanderte in der Gegenrichtung, von Welsch zu Deutsch, näherte mich also von Freiburg (S-Bahn-Haltestelle Poya) her der Brücke und überquerte sie, um alsbald in der Deutschschweiz zu landen. Wobei, "überqueren" ist eigentlich irreführend, Fussgänger gehen durch einen Arkadengang unter dem Bahntrassee. Wunderbar dabei der Blick auf den Schiffenensee, die aufgestaute Saane. Berückend die Architektur mit den Bögen. Und etwas beklemmend die Sprayereien auf der anderen Seite des Geländers, es gibt offenbar immer wieder Junge, die hart am Abgrund in einer der Arkadennischen ungesichert ihre Graffiti anbringen. 79 Meter hoch ist die Brücke und 334 Meter lang und ist auch baugeschichtlich interessant. 1858 bis 1862 entstand sie als simples Eisenmodell: waagrecht die Brücke, senkrecht dazu die Träger. Als die Züge aber allmählich schwerer wurden, musste man die Konstruktion verstärken. 1925 bis 1927 wurde der Viadukt quasi verbetoniert, aus jener Zeit stammen die Bögen. Elegant fiel diese Umgestaltung auf jeden Fall aus.
Auf der welschen Seite der Brücke, das Haus ist eine Beiz.
Blick von der Brücke Richtung Nordwesten mit dem Schiffenensee.

Mittwoch, 22. November 2017

Ich war der Zar der Schweiz

Schon bizarr, wenn man spätnachmittags in der beginnenden Stosszeit in Gossau SG in den Zug nach Zürich steigt und den Speisewagen leer vorfindet - kein Mensch da. Okay, der Speisewagen war geschlossen im Sinn von: Hier wird heute auf dieser Strecke nicht gewirtet. Aber offen war er doch. Und gemütlich dank dem gelben Warmlicht. Ich mochte es sehr, mutterseelenallein Richtung Zürich zu gondeln. Erst im Zürcher Flughafen stieg noch jemand anders ein und machte so mein Gefühl zunichte, im privaten Salonwagen durchs Land zu reisen - der Zar der Schweiz.

Dienstag, 21. November 2017

Doppelte Einkehr

Schöne Fassade der Guhwilmühle. Die Wirtin hält, Bild unten, frohe Hühner.
Den zwei Wirtschaften unserer Samstagswanderung von Elgg nach Zell möchte ich einen eigenen Eintrag widmen - sie sind es wert. Die eine Wirtschaft, das ist die Guhwilmühle. Man gelangt in einer knappen Stunde von Elgg zu ihr hinauf durch das Nagelfluhparadies des Fahrenbachtobels; der Pfad ist schlau befestigt mit einem langen Steg in der Hangflanke als Höhepunkt. Die Mühle dann: ein Gesamtkunstwerk mit frei herumlaufenden Hühnern, einem Wöschhüsli und einer gemütlichen Stube, in der alte Männer mit Namen wie Röbi überlaut von ihrer wilden Jugend in den Fünfzigerjahren schwärmen. Die Küche ist rustikal und sympathisch fleischlastig, es gibt aber auch Forellen aus dem eigenen Teich. Das Vorkommen einer Mühle, übrigens, ist schon 1545 nachgewiesen. Ihr Müller trieb damals ein fieses Spiel, indem er das Wasser seiner Geländeterrasse ausgiebig für sich nutzte und beliebig staute, was die Müller unten in Elgg in den Nachteil versetzte und gewaltig ärgerte.

Guter Teller im Gyrenbad.
Die zweite Wirtschaft ist das Gyrenbad oberhalb von Turbenthal, es liegt an einer Strassenkurve, spärlich verkehren Postautos. Seit dem 17. Jahrhundert gibt es hier einen Gasthof. Seine Klientel waren habliche Leute aus dem Tal und von weiter weg, die an diesem Ort kurten und es sich gutgehen liessen. Die aussichtsreich gelegene Anlage besteht aus mehreren Teilen und umfasst auch ein Hotel; Herzstück aus der Sicht des Wanderers ist natürlich das geräumige Restaurant, in dem sie nach allen Regeln der Gastronomie kochen. Snobby ist der Betrieb keineswegs, die Serviererinnen, die wir am Samstag kennenlernten, waren geerdet und blitzflink; so manche verschlafene Gaststätte im Emmental könnte im Gyrenbad lernen, wie man effizient und doch nett bedient. 2015 obsiegte das "Gyrenbad" in der TV-Sendung "Mini Beiz, dini Beiz".
Seit mehreren Jahrhunderten lockt das Gyrenbad Touristen.

Montag, 20. November 2017

O du schönes Grau

Gehörte ganz uns: der Waldweiher oberhalb von Elgg.
Gutes Wetter ist manchmal ein Fluch; der sonnige Spätherbst-Tag in den Bergen wäre grandios, bloss wollen alle hin, die Züge sind dann verstopft und so weiter und so fort. Umgekehrt kann schlechtes oder doch ödes Wetter ein Segen sein - man hat die Landschaft für sich. So war es am Samstag auf unserer vierstündigen Wanderung von der Eulach an die Töss. Von Elgg gingen wir via Guhwilmühle und Scheunberg auf den Schauenberg. Wir stiegen ab zum Gyrenbad, assen gut, hielten via Höchholz und Haldenholz auf glitschigen Pfaden zum Giessen im Königstal und beendeten die Unternehmung schliesslich bei der S-Bahn-Station Rämismühle-Zell.  Fernsicht hatten wir keine, kamen in den höheren Lagen an Schneeresten vorbei, froren bei der kurzen Gipfelrast. Und all das war der guten Laune nicht im Geringsten abträglich, weil wir dafür praktisch allein unterwegs waren. Der Wald gehörte uns, das nach Zimt riechende Laub gehörte uns, die Nagelfluh, die Töbel, die Bächlein gehörten uns. Was will man mehr?
Gehörte ganz uns: der Weg durch das Fahrenbach-Tobel zur Guhwilmühle.
Gehörte ganz uns: der Schauenberg mit seiner Burgruine. 
Gehörte sowieso ganz uns: der abgelegene Königstal-Giessen einige Zeit vor Zell.

Sonntag, 19. November 2017

Spiess und die Tachsenhauserin

Eine Hinrichtung von Hexen, 1587. Die Illustration stammt aus der Wickiana, einer
Sammlung gruseliger Flugschriften; die Sammlung geht zurück
auf den Zürcher Pfarrer Johann Jakob Wick. (Bild: Wikicommons)
Um die 10 000 Hexenprozesse wurden auf dem Gebiet der heutigen Schweiz vom 15. bis 18. Jahrhundert abgehalten, gut die Hälfte davon endete mit einem Todesurteil. Eine der Frauen, die vor den Richter mussten, weil man sie des Verkehrs mit dem Teufel verdächtigte, hiess Ursula Tachsenhauserin; sie lebte in Ossingen und wurde im Hochsommer des Jahres 1574 in Zürich verbrannt. Am Freitagabend war ich an einer Veranstaltung in der Helferei beim Grossmünster Zürich; dort schilderte Kurt Spiess das Leben der vermeintlichen Hexe, die in Wahrheit schlicht eine Frau ohne mächtige Verwandtschaft und Fürsprecher gewesen war, ein Opfer dörflicher Ängste und Verleumdungen in einer Zeit der desaströsen Ernteausfälle. Ein Sündenbock. Spiess wäre das zweite Thema in diesem Blog: Er ist Osteuropa-Historiker, wurde dann Berufsschullehrer, dann Inspektor im Berufsbildungsamt, dann Freiberufler mit einer Psychodrama-Ausbildung, dann Professor für Change Management an der Hochschule Chur. Und dann liess er sich mit 60 frühpensionieren und absolvierte eine Ausbildung als Storyteller an der Universität der Künste in Berlin. Uff. Ich fand den Mann eher mässig gut. Aber die Biografie der armen Ursula Tachsenhauserin ist es wert, erinnert zu werden - in der Sache machte sich Spiess verdient. Im Urteilsspruch heisst es:
"... dass sie dem Nachrichter (Scharfrichter) befohlen werden soll. Der solle ihr ihre Hände binden und sie hinaus zu der Sihl auf das Grien (Kies) führen, daselbst auf eine Hurd setzen und an eine Stud heften und also auf der Hurd an der Stud verbrennen, inmassen, ihr Fleisch und Bein zu Asche werden und sie damit dem Rechten gebüsst haben soll."
P.S. Morgen will ich hier von unserer Samstagswanderung schwärmen. Sie strotzte vor Nagelfluh und guter Laune.

Samstag, 18. November 2017

Das sibirische Halbjahr

"Ich hatte mir vorgenommen, vor meinem vierzigsten Lebensjahr als Eremit in den Wäldern zu leben. Ich zog für sechs Monate in eine sibirische Hütte am Ufer des Baikalsees, an der Spitze des Nördlichen Zedernkaps. Das nächste Dorf 120 Kilometer entfernt, keine Nachbarn, keine Zugangsstrassen, gelegentlich ein Besuch. Im Winter Temperaturen um die minus 30 Grad, im Sommer Bären an den Ufern. Kurz, das Paradies."

Sylvain Tesson, Franzose, ist Geograf und Schriftsteller. Ein Abenteurer, aber auch ein Denker. Eben las ich das Buch, das von seinen sechs Monaten am Baikalsee handelt. Es erzählt von Wodka-Exzessen mit russischen Meteorologen, von der Einsamkeit und den Möglichkeiten, die sie eröffnet, von der Hütte und vom Wald und den nahen Bergen, die Tesson erklimmt; es ist gleichzeitig eine spannende Chronik und ein philosophisches Tagebuch - der Mix hat mich Seite für Seite begeistert.

Was mich einzig leicht irritiert: Auf Youtube kann man sich einen Film anschauen, der Tesson am Baikalsee zeigt. Im Buch ist nicht davon die Rede, dass es diesen Film gibt und wie er zustandekam. Aber toll ist er. Etwas fürs Wochenende.

Freitag, 17. November 2017

Meine Art-Brut-Reise

Ihn besuchte ich: Benno Kaiser in seinem Haus in Südfrankreich.
Mitte Oktober weilte ich reportagehalber in Südfrankreich. Ich bloggte von dort auch, verschwieg aber, warum genau ich nach Villeneuve-les-Béziers gereist war. Hier nun die Auflösung: Ich besuchte den 76-jährigen Art-Brut-Künstler Benno Kaiser, einen St. Galler, der in einem früheren Leben Denner-Werbechef war und vor vielen Jahren ins Languedoc ausgewandert ist. Wer sich für den Mann und seine wilden Werke interessiert - die "Schweizer Familie" mit dem mehrseitigen Artikel kann man ab heute lesen. Ah ja, ein Buch über Benno gibt es neuerdings auch.

Die neue SF enthält übrigens zwei weitere Artikel von mir: zum einen ein Porträt von Marlies Mörgeli, die in Läufelfingen einen Tierfriedhof betreibt. Und zum anderen eine Wanderkolumne, die im Val de Travers spielt.

Donnerstag, 16. November 2017

Pôle muséal

So wird der Platz nördlich am Bahnhof Lausanne in drei Jahren aussehen.
(Bild: Projektskizze Pôle muséal/ Estudio Barozzi & Veiga, Barcelona)
Fährt man von Genf her in den Bahnhof Lausanne ein, passiert man eine Industriebrache. Auf ihr geschieht nicht viel, die SBB warten alte Waggons, das immerhin. Ab 2020 soll sich die Ankunft ganz anders gestalten: Die Lokremise von 1911 wird verschwunden sein; stattdessen werden zwei Neubauten dastehen mit drei Museen darin, die von ihren bisherigen Standorten umziehen wollen: das Musée Cantonal des Beaux-Arts, das Fotomuseum Elysée und das  Designmuseum Mudac. Das neue Museumsquartier auf 22 000 Quadratmetern dürfte Lausannes ein wenig öde Bahnhof-Umgebung deutlich aufwerten. 180 Millionen Franken kostet das Projekt, auf Französisch heisst die Anlage "Pôle muséal".

Mittwoch, 15. November 2017

Bere-Romm-Flade

Die Toggenburger nennen ihn Schlorzifladen, wir Appenzeller aber Bereflade oder auch Bere-Romm-Flade. Göttlich ist er jedenfalls. Am Exemplar, das mir kürzlich im Rössli in Hundwil vorgesetzt wurde, liebte ich auch die Dekoration - schön, oder?

P.S. "Bere" gleich Birne, "Romm" gleich Rahm.

Dienstag, 14. November 2017

Der schrecklich liebe Hirtenhund

Die Cadlimohütte liegt hoch über Airolo im Ritomgebiet auf 2570 Metern über Meer. Toni Kaiser, Chefredaktor von "Schweiz Das Wandermagazin", verbrachte in ihr einen Sommer, ein Zuckerschlecken war das nicht, denn er war Teil des Teams, arbeitete also kräftig mit. Aber fotografiert hat er auch - daraus ist ein schönes Fotoheft entstanden. Es zeigt Andy beim WC-Putzen,  Dania beim Betten, Jana beim Zubereiten des Salats, Alma im Vorratskeller. Und auch Terribile ist zu sehen, der Hirtenhund vom nahen Val Canaria, dessen Schäfer sagt, Terribile sei eigentlich zu lieb für seinen Job. Schrecklich lieb sei er. Daher ja auch der schalkhaft gemeinte Name Terribile.

Montag, 13. November 2017

Sonnenblumenkerneparabel

Der Saal mit den Sonnenblumenkernen. Sie sind ...
... aus Porzellan.
Am Samstag besichtigten wir Lausanne. Und wir besuchten die Ai-Weiwei-Ausstellung. Das war eine Art Schnitzeljagd, man durchstreift das gewaltige Palais de Rumine und dessen Museen von Zoologie über Archäologie bis Geologie sowie natürlich Kunst und sichtet immer wieder mal irgendwo zwischen den guten alten Exponaten (Kalb mit zwei Köpfen, Säbelzahntiger-Skelett, Asbestbrocken, ausgestopfter Igel) ein verschmitzt eingefügtes Objekt von Ai Weiwei, zum Beispiel ein Sextoy zwischen den menschlichen Föten in Formaldehyd. Zwei grössere Installationen des Künstlers einzig durchbrechen das Konzept, indem sie allein für sich stehen. Hier im Bild die Installation "Sonnenblumenkerne". Sie war schon in London zu sehen; dort waren es 100 Millionen Kerne, hier in Lausanne immerhin 10 Millionen. Und zwar keine natürlichen, sondern von chinesischen Handwerkern der alten kasierlichen Manufakturen in Jingdezhen von Hand bemalte Imitate aus Porzellan. Gewaltig - ich glaube, auf so etwas kann nur ein Chinese kommen. Und was soll das? Nun, man könnte angesichts der Menge der Kerne auf das Verhältnis des Einzelnen zur Masse kommen: Kann er seine Individualität gegenüber dem Kollektiv behaupten; sie scheint fragil und lächerlich. Das Thema passt zu Ai Weiwei, der sich bekanntlich mit dem Regime angelegt hat und auch schon im Gefängnis landete. Die Reise nach Lausanne lohnt sich! Bis 28. Januar ist die Ausstellung offen.
Das Atrium des Palais de Rumine mit dem Konterfei von Ai Weiwei.

Sonntag, 12. November 2017

Ganz oben

Das Kili-Diplom. Den Namen der Besitzerin habe ich wegretuschiert.
Gestern wanderten wir nicht. Wir fuhren stattdessen nach Lausanne zur Ai-Weiwei-Ausstellung und besichtigten danach die Kathedrale und die Altstadt. Mehr davon morgen. Hier ein Diplom. Wanderfreundin C., gestern auch dabei, hat es errungen, indem sie kürzlich den Kilimandscharo bestieg. Afrikas höchsten Berg. Geschafft hat man die Unternehmung, die dem Körper ziemlich zusetzt (Sauerstoffarmut), wenn man einen von drei definierten Punkten erreicht:
  • den Uhuru Peak ganz zuoberst auf 5895 Metern;
  • den Stella Point auf 5756 Metern;
  • den Gilman's Point auf 5685 Metern.

Samstag, 11. November 2017

Return of the Streusalz

Winter ist, wenn im Eingang zu meinem Mehrfamilienhaus der Streusalz-Eimer auftaucht; gestern war es soweit. Unser Hauswart verfolgt offensichtlich die Wetterprognosen: Bis Montag soll die Schnellfallgrenze auf 500 Meter fallen.

Freitag, 10. November 2017

Der Ameisler

Ein Ameisler - Zeichnung von 1820.
(Wikicommons)
Gestern stiess ich zuhause beim Lesen auf einen Beruf in Süddeutschland, Österreich und Böhmen, den es längst nicht mehr gibt: den Ameisler. Er sammelte einst die Puppen ("Eier") der Waldameise und verkaufte sie - zum einen dienten diese als Vogelfutter, zum anderen wurden daraus Arzneien gefertigt. Oft waren es arme Bauern, die diese Arbeit im Nebenamt ausübten und also Ameisenhaufen siebten, um die Puppen zu gewinnen.

Donnerstag, 9. November 2017

Ab nach Richterswil, Vallorbe, Biel!

Schön! "Der Stundentanz" von Philippe Robert im Wartsaal im Bahnhof Biel.
(Bild: Wikicommons)
Was haben die Bahnhöfe von Richterswil ZH, Vallorbe VD und Biel BE gemeinsam? Jawohl, alle diese Orte haben einen stilvollen alten Wartsaal - eine Einrichtung, die andernorts längst ganz verschwunden oder durch Umnutzungen entstellt worden ist. Die NZZ brachte zu diesem Thema gestern eine schöne Geschichte. Auch Flüelen kommt vor. Im dortigen Bahnhof gibt es einen denkmalgeschützten Wartsaal mit dem Heinrich-Danioth-Wandbild "Föhnwacht" von 1944. Doch leider ist der Raum durch einen Kiosk beeinträchtigt. Eine Frau von der SBB nennt einen Grund, warum aus ihrer Sicht ein Kiosk manchem Wartsaal durchaus gut tut: "Die Anwesenheit von Kioskangestellten erhöht die Sicherheit der Wartenden und schützt vor Schäden." Ist schon wahr, die Vandalen sind heutzutage überall. Schade ist das trotzdem.

Mittwoch, 8. November 2017

Baselbieter Gipsgeschichte



Am Montag war ich für einen Artikel in Läufelfingen BL, er wird sich dem dortigen Tierfriedhof widmen. Die Betreiberin sagte mir im Gespräch, dass ihr Friedhof auf dem Gelände einer alten Gipsfabrik liege, deren Gebäude samt und sonders verschwunden seien, wenn man vom Trafoturm absehe. Sie empfahl mir einen Youtube-Clip von fünf Minuten Länge, der die Geschichte der 1984 stillgelegten "Gipsi" aufgreift. Diese verarbeitete Gipsgestein aus dem Nachbarort Zeglingen; Arbeiter brannten das Gestein in einem Ofen und machten es so mürbe; anschliessend wurde das Material zermahlen zu Gipsmehl. Hübsch fand ich die Art und Weise, wie der Aushub von Zeglingen in die Gipsi geschafft wurde: mit einer Seilbahn. Sechs Kilometer lang war sie und war damit die längste Seilbahn der Schweiz. Leider gibt es sie auch nicht mehr. Immerhin kommt in dem Clip ein ehemaliger Arbeiter der Gipsi zu Wort, der erzählt, dass er als Bub mit anderen Kindern aus dem Dorf gern ein Stück mit der Seilbahn mitfuhr. Die Kinder hängten sich einfach an die Wägeli und sprangen ab, sobald sie in Sichtweite Erwachsener kamen. Uff, gefährlich.

Dienstag, 7. November 2017

Das Diplomatendessert aus Deutschland

Der Nesselrode. Nicht der Coupe, der Mann!
(Bild: Wikicommons/ Franz Krüger)
Unter den Coupes ist der Nesselrode im Herbst mein Liebling - diese Kombination aus Rahm, Vanilleglace, Meringue und Vermicelles: Himmel! Kürzlich hatte ich einen Nesselrode im Restaurant des Zürcher Kunsthauses und fragte mich, woher der Name kommt. Nun, es gibt ein westdeutsches Adelsgeschlecht Nesselrode. Ein Spross desselben war Karl Robert Graf von Nesselrode. Er nahm als Diplomat am Wiener Kongress teil, der Neuordnung Europas nach den napoleonischen Turbulenzen in den Jahren 1814 bis 1815, und soll dort Bekanntschaft mit dem Spitzenkoch Marie-Antoine Carême gemacht haben, der dann ein Dessert nach ihm benannte. Genauer kann man die Geschichte nicht wiedergeben, sie ist und bleibt in den Details spekulativ.

Montag, 6. November 2017

Reisen wie Churchill

Gestern, unterwegs zu einem innerfamiliären Brunch, fotografierte ich im HB Zürich diesen Sonderzug. Die Leute, die einstiegen, taten dies ebenfalls im Zeichen des Brunchens. Die Route für ihre Frühstück-Fahrt: Zürich (ab 10.15)  - Rapperswil - Pfäffikon - Thalwil - Horgen Oberdorf - Knonau - Zürich. Der Rote Doppelpfeil war an der Schweizer Landesausstellung 1939 vorgestellt worden und zog sich seinen Beinamen "Churchill" sieben Jahre später zu, als Winston Churchill in ihm durchs Land reiste. Wer auch mal in dem knallroten Ausflugsvehikel der SBB brunchen möchte: Hier geht es zu den nächsten buchbaren Terminen.

Sonntag, 5. November 2017

Fufluns? Fufluns!

Beim Objekt rechts handelt es sich um eine etruskische Feldflasche.
Die Etrusker hatten lange den Ruf des mysteriösen Volkes. Woher sie kamen - darüber rätselte schon die Antike. Der griechische Geschichtsschreiber Herodot etwa meinte, sie stammten aus Kleinasien, also der heutigen Türkei. Heute ist klar: Die Etrusker sind ein italisches Urvolk, amalgamiert aus diversen früheren Bevölkerungsgruppen. Die Römer, ihre Nachfolger oder auch Erben oder auch Überwinder, nannten sie "Tusci", von da stammt das Wort "Toskana", das also soviel heisst wie "Etruskerland". Im Museum zu Allerheiligen in Schaffhausen läuft derzeit und die nächsten Monate eine grosse Etrusker-Ausstellung. Ich besuchte sie gestern und erfuhr viel über diese Zivilisation der Landschaft zwischen Rom und Florenz, die weniger im Krieg brillierte als durch ihre stupende Fähigkeit der Metallverarbeitung (Eisenerz von Elba) und durch die Anbahnung europaweiter Handelsbeziehungen. Ein Wort, das mir bleiben wird, weil es irgendwie irreal klingt: Der etruskische Gott des Weines hiess Fufluns. Womit wir bei dem einzigen Mysterium wären, das punkto Etrusker weiterbesteht: Ihre Sprache ist nach wie vor weder befriedigend übersetzt noch einer der grossen Sprachgruppen zugeordnet.