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Freitag, 31. Dezember 2021

Buddha und die Hexen

Der Tessiner Buddha in Quartino.
In der Osteria La Strega in Quartino.
Die Strada del Montecenerino führt von Rivera im Monte-Ceneri-Gebiet nach Quartino. Etwas grossflächiger betrachtet: Als alter, wohl mittelalterlicher Handelsweg verknüpt sie das Becken des Luganersees mit dem des Lago Maggiore und umgekehrt. Der Abschnitt von Monte Ceneri nach Quartino hinab wird "Strada Romana" genannt und ist so auf der Karte eingezeichnet, hat dem Namen zum Trotz aber nichts mit den Römern zu tun und erhielt seine reizvolle Pflästerung vor rund 140 Jahren. Ebendieses grobe Pflaster aus Buckelsteinen bereitete mir grosse Probleme, als ich am Dienstag Richtung Quartino abstieg. Wäre der Weg vereist gewesen, wäre das nichts geworden. War er nicht. Aber weil es in dem abschüssigen Waldstück feuchtelt, waren die Steine unheimlich glitschig. Ich stürzte trotz grösster Vorsicht gleich zweimal und war dementsprechend froh, als ich unten ankam. Dort erblickte ich als erstes eine Buddha-Statue, der grosse Lächler liess mich den Schrecken im Steilhang vergessen. Er gehört zu einem 2017 eröffneten buddhistischen Tempel, dem ersten im Tessin. Ganz in der Nähe gabs eine Bushaltestelle, ich hätte nun, nach der zweieinhalbstündigen Wanderung (225 Meter aufwärts, 480 abwärts), heimreisen können. Stattdessen ging ich essen in der Osteria La Strega, einem dem Namen entsprechend ("strega" heisst Hexe) mit Hexenfiguren hübsch dekorierten Restaurant. Vergiftet wurde ich dort nicht, sondern im Gegenteil verwöhnt, das Menü bestand aus einem Teller mit Salami, einem Salat, Kaninchen aus dem Ofen mit Rotweinrisotto und Fruchtsalat. Dazu trank ich einen Boccalino Merlot. Als ich später satt im Zug sass, dachte ich: Ich will nächstes Jahr noch mehr im Tessin wandern. Apropos: Ich wünsche allen ein frohes 2022.
Die Strada Romana. Was man nicht sieht: wie glitschig sie war.

Donnerstag, 30. Dezember 2021

Entdeckung am Ceneri

Der fünf Meter lange Stein. Unten links im Tal liegt (nicht sichtbar) Rivera.
Wandern heisst für mich: entdecken. Vorgestern Dienstag machte ich im Tessin einen Zufallsfund, der mich begeisterte. Auf dem Wanderweg von Soresina oberhalb Rivera zum Monte-Ceneri-Pass erblickte ich, kurz bevor ich das Seil der Gondelbahn zum Monte Tamaro unterquerte, einen riesigen Schalenstein. Oft sind die Schalen schwer zu erkennen. Moos überwuchert die Gravuren, altes Laub verdeckt sie, Regen und Eis haben ihnen zugesetzt. Bisweilen liegen die Steine zudem abseitig und sind womöglich gar den Einheimischen unbekannt. Umso mehr freute ich mich vor Ort: scharfe Konturen, klar sichtbare Vertiefungen. Und erst noch stolpert man als Wanderer praktisch über die vermutlich von Menschen der Vorzeit geschaffene Preziose.

Wer den Schalenstein auch besuchen will, hier die Koordinaten für die "SchweizMobil"-Webseite: 2714198 1109205. Auch im Inventar ssdi.ch ist er erfasst.

Mittwoch, 29. Dezember 2021

Mut zur Francesinha


Francesinha ist ein portugiesisches Gericht, das ziemlich viele Dinge in einen mit Sauce gefüllten Teller packt: Toastbrot, scharfe Wurst, Schinken, Rindfleisch, Käse, ein Spiegelei. Als wir am Stephanstag in Bischofszell in der von Portugiesen geführten Pizzeria Michelangelo zu Mittag assen, bestellte Ronja eine Francesinha, eine "kleine Französin" also; woher der Name rührt, ist unklar, allenfalls von der Zeit, als Napoleons Truppen Portugal besetzt hielten. So richtig glücklich wurde Ronja nicht mit ihrer Wahl. Aber sie hatte das nun einmal probieren wollen. "Es ist eine Erfahrung", sagte sie tapfer, derweil wir anderen mit bewährten Dingen wie Pizza, Cordon bleu, Spaghetti beschäftigt und mit ihnen sehr zufrieden waren. Kulinarischer Mut zahlt sich nicht immer aus.

Dienstag, 28. Dezember 2021

Wasserwandern

Einer der fünf Hauptwiler Weiher.
Die Krumme Brücke in Bischofszell.

Gonzenbach: So hiess eine St. Galler Unternehmersippe, die schon vor 1600 in Hauptwil im Thurgau Grund und Boden besass und sich später ganz dorthin verlegte, weil in der Stadt St. Gallen die Zünfte die Freiheit von Handel und Gewerbe behinderten. In Hauptwil, wo wir am Stephanstag unsere Wanderung starteten, begründeten die Gonzenbachs eine frühindustrielle Textilmanufaktur. Diesem Zweck dienten fünf Fischweiher, in denen nun zum Beispiel Stoffe gefärbt wurden. Wir genossen die Stille an den langgezogenen, wie an einer Schnur aufgereihten Wasserrinnen, deren Oberfläche ein Flickenteppich war aus Eis und vom Regen freigespülten Flächen. Als wir den letzten Weiher hinter uns hatten, kam die Sitter in Sicht. Ihr folgten wir bis Bischofszell, assen dort in der Pizzeria Michelangelo zu Mittag und schauten uns hernach im Städtchen um. Was für ein Glanz! Bischofszell gehörte dem Bischof von Konstanz und verdankte seine Macht und Pracht zwei Umständen: Es lag erstens an einem wichtigen Übergang über die Thur und war zweitens Grenzstadt hin zum benachbarten Reich der Sankt Galler Fürstäbte. Später überquerten wir die Krumme Brücke, ein 116 Meter langes Bauwerk aus Tuff und Sandstein aus dem Mittelalter. Kamen dort, wo die Thur die Richtung wechselt und dabei eine enge Schleife bildet, ins Gebiet Muggensturm. Und genosssen im Folgenden viel Natur auf dem Weg nach Schönenberg. Dort gabs nach rund viereinhalb Stunden Gehzeit ein Schlussbier im Restaurant zur Brücke. Ebendiese Brücke über die Thur nahmen wir nach der Einkehr, erreichten den Bahnhof Kradolf und beendeten dort die Ostschweizer Unternehmung, die uns Wasser in allen Formen gebracht hatte: Flüsse, Weiher, Regen.
Bischofszells lachsfarbenes Rathaus aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.

Später Nachmittag, am Bahnhof Kradolf endet die Wanderung.

Montag, 27. Dezember 2021

Das Ende eines Flusses

Bei Bischofszell, vorn die Thur, hinten die Sitter.
Dasselbe als Karte: Links haben 
wir die Thur, rechts die Sitter.
Ich mag die elementaren Formen und Vorgänge der Landschaft, wie die Geografie sie beschreibt. Den Ort etwa, wo ein Fluss endet, was mich immer berührt und mir sakral vorkommt. Oder mythisch. Oder parabelhaft als Gleichnis von Werden und Vergehen. Gestern erlebten wir auf unserer Thurgauer Wanderung bei Bischofszell die letzten Meter der Sitter, die aus dem inneren Appenzellerland kommt und mir seit der Kindheit vertraut ist unter ihrem Dialektnamen "Settere". Aber nie war ich bisher dort gewesen, wo die Sitter nach 50 Kilometern in die Thur einmündet. Stirbt sie? Lebt sie im grossen Fluss weiter? Oder ist es eine Gewässerhochzeit? Irgendwie alles gleichzeitig.

Sonntag, 26. Dezember 2021

Archeologia rupestre

Als ich gestern nach der Weihnachtsfeier im Familienkreis wieder Richtung Zollikerberg fuhr, war mein Rollköfferli gut gefüllt mit Geschenken. Teure Pralinen aus Berlin, "Appenzeller" von der Schaukäserei in Stein, ein Mocken Mostbröckli vom Metzger Heis in Walzenhausen, ein Kalender fürs nächste Jahr mit Schweizer Bergszenen. Freude bereitet mir auch jenes Buch, das ich mir gezielt gewünscht hatte. Der Autor Franco Binda hat in jahrzehntelanger Arbeit im Tessin und in Südbünden Steine aufgesucht und katalogisiert, auf denen die Menschen der Prähistorie und folgender Zeitalter Zeichen hinterlassen haben, Kreuze, Schalen, Strichmenschlein, Sonnen, Sterne und so weiter. In "Il mistero delle incisioni. Archeologia rupestre nella Svizzera Italiana" breitet er seine schönsten Funde aus, erzählt zu jedem eine kleine Geschichte und deutet mit jener Zurückhaltung, die den Forschergeist vom Esoschwärmer scheidet. Auch die jeweiligen Koordinaten liefert Binda, bereits habe ich mir ein paar Orte herausgesucht, die ich bald besuchen will. Neu war mir übrigens im Untertitel des Buches das Adjektiv "rupestre". Lateinisch "rupes" bedeutet Fels, weiss ich unterdessen. Das Buch heisst somit auf deutsch: "Das Rätsel der Gravuren. Felsarchäologie in der italienischen Schweiz". Ich bin sicher, es wird in diesem Blog den einen oder anderen Eintrag zeitigen.

Samstag, 25. Dezember 2021

Simple Sache

Praktisches Präsentchen in Zeiten von Corona, gestern in der Familie gesehen: Klarsichthülle für die, die ihr Impfzertifikat in Papierform mit sich tragen und riskieren, dass es zerknittert und der digitale Code unlesbar wird. Dem beugt die Hülle vor.

Freitag, 24. Dezember 2021

Sterne trinken

Dom Pérignon.
Ein wirklich
wichtiger Mönch.
(Wikicommons)
Ob der Benediktiner Dom Pérignon, 1638-1715, die Méthode champenoise, das Flaschengärungsverfahren zur Herstellung von Schaumwein, erfunden hat oder ob er es nur massgeblich mitgeprägt hat, ist nicht ganz klar. Jedenfalls trägt heutzutage eine französische Champagnermarke seinen Namen. Mir gefällt, was der Mönch rief oder gerufen haben soll, nachdem er das erste Mal seinen Champagner gekostet hatte: "Kommt schnell, ich trinke Sterne!"

So, mit diesem Aperçu wünsche ich allen eine schöne Weihnacht. Mögen die Festtage Ruhe schaffen.

Donnerstag, 23. Dezember 2021

St. Gallens Hampelmann

Als Kinder gingen wir gern in den Zollibolli, das traditionelle St. Galler Spielwarengeschäft. Nicht, dass da jedes Mal etwas gekauft worden wäre. Aber immer zogen wir am Seil. Der riesige Hampelmann zappelte dann so lustig. Diesen Stammladen an der Marktgasse gibt es nicht mehr. Der Hampelmann hat die Schliessung Gott sei Dank überlebt. Er hängt jetzt in leicht überarbeiteter Form vor der Zollibolli-Filiale Neumarkt, wie dieses Foto von meinem Facebook-Freund, Pfarrer Joerg Niederer, zeigt (merci für die Erlaubnis, es hier zu bringen, Joerg). Ich hätte grosse Lust, nach St. Gallen zu reisen und am Seil zu ziehen.

Mittwoch, 22. Dezember 2021

Lichtarmer Tag? Ja? Wirklich?

Auf halbem Weg.
Beim Chrüz. Hinten das Nebelmeer im Rheintal.

Gestern war der kürzeste Tag des Jahres. Ich beschloss, mir möglichst viel Licht zu geben, fuhr nach Amden und weiter hinauf zum Arvenbüel hoch über dem Walensee. Von dort nahm ich den Winterwanderweg zur Vorder Höhi unter die Füsse, setzte mich am Ziel auf das Bänkli beim Chrüz und liess mich von der Sonne wärmen. Lichtarmer Tag? Davon habe ich nichts gemerkt.
Perfekte Wegverhältnisse. Links der Gulmen.

Dienstag, 21. Dezember 2021

Wildschweinwurstwanderweihnacht

Mein Teller.
Das war am Samstag eine schöne Weihnachtswanderung – als am Mittag die Sonne erschien, wurde sie vollends stimmig. Noch im Grau, an das wir uns in den letzten Tagen gewöhnt hatten, waren wir in Ossingen gestartet, also im Zürcher Weinland. Bald schon passierten wir den Husemersee und seine Nebenseelein. Wir fühlten uns in die Vorzeit versetzt, als die Gletscher abgeschmolzen waren und solche Gewässer zurückliessen, bloss ein Robidog-Kübel erinnerte uns daran, dass wir in der Gegenwart unterwegs waren. Über Oerlingen und Marthalen setzten wir fort zu unserem Ziel, dem Kloster Rheinau. Dort stiessen wir auf der Brücke über den Fluss mit Prosecco und Champagner an. Es folgte um zwei Uhr die Führung durch das Kloster und auf dessen Turm, die nichts zu wünschen übrig liess. Freilch waren wir am Ende durchfroren, die Anlage ist zum grossen Teil nicht geheizt. Im nahen Restaurant Augarten fanden wir Wärme. Und assen so einfach wie deftig, ich hatte eine Wildschweinbratwurst und nachher einen Coupe Dänemark. Und ja, der Wein floss in Strömen. So soll das sein, wenn man ein gutes, nein, sehr gutes Wanderjahr feiert, das bald schon zu Ende geht.

Der Husemersee und seine Nebentümpel sind ein Relikt der letzten Eiszeit und ihres Endes.

O du schönes Züribiet: das Kloster Rheinau.

Montag, 20. Dezember 2021

Theodora schaute uns an

Theodora, die Mumie von der Rheinau.
Theodoras Füsse.

Unser Führer öffnete den Reliquienschrank. Theodora – Brustpanzer, prunkvoller Rock, eine Feder in der einen Hand, ein Schwert in der anderen – schaute uns an. Auf einer Art Thron sitzt sie. Hat einen Bart. Die Zehen sind nackt und bräunlich-schwarz. Dies ist eine Mumie. Warum Theodora von Vasta, die vor vielen Jahrhunderten im Byzantinischen Reich lebte, als Mann verkleidet den Tod fand, kann man hier lesen, die Legende kursiert in verschiedenen Versionen. Wie die Mumie ins Kloster Rheinau kam, wo wir sie am Samstag betrachteten, ist ungewiss. Sicher war ihr Anblick ein starker Moment während einer an starken Momenten reichen Klosterführung. Wir sahen den Rest des Klosterschatzes von einst, den Sarkophag des Lokalheiligen Fintan, historische Messgewänder, Heiligenbilder noch und noch. Und wir vernahmen, wie sich in der gewaltigen Anlage romanische, gotische, barocke Grundrisse überlappen. Am Ende bestiegen wir einen der Türme, freuten uns darüber, dass uns am Tag unserer Weihnachtswanderung Sonne beschieden war, und blickten auf den Rhein, der an dieser Stelle eine Doppelschleife ins Gelände zieht. Es sei, sagte unser Führer, der einzige Ort, wo der Hochrhein ostwärts fliesst.

P.S. Nachbemerkung Ende 2023. An diesem Eintrag ist vieles falsch. Insbesondere ist Theodora keine Mumie, sondern ein Skelett. Eine sogenannte Katakombenheilige.
Im Treppenhaus des Nordturmes, unten der Klosterplatz.
Ostwärts fliesst hier der Fluss.

Sonntag, 19. Dezember 2021

Lünette in Luzern


Ich habe die Guillotine mittlerweile gesehen. Jenen Tötungsapparat, mit dem in Sarnen 1940 das Todesurteil am Dreifachmörder Hans Vollenweider vollstreckt wurde, worüber ich gestern schrieb. Die Guillotine steht in Luzern im Historischen Museum im Foyer in einer Nische und ist eines der vielfotografierten Exponate in diesem Haus. 1863 wurde sie gebaut: Holzgerüst, Aufzugsseil, Gleitschiene, Fallbeil, Delinquentenbrett. Und Lünette. So heisst die Öffnung, durch die der Hinzurichtende den Kopf zu strecken hatte. Besonders makaber fand ich etwas anderes: den Fangkorb aus Leinenstoff, in dem der abgetrennte Kopf landete.

Samstag, 18. Dezember 2021

Vollenweider, die Witwe, das Fallbeil

Hans Vollenweider. (Polizeikommando
Zürich / Wikicommons)
Vor zwei Wochen erzählte ich am Beispiel des Galgenhauses am Rande Zofingens von den zivilrechtlichen Hinrichtungen in diesem Land. Hier ein Nachtrag: 1938 beschliesst das Schweizer Stimmvolk die Abschaffung der Todesstrafe. Das neue Strafgesetzbuch, das den Volkswillen umsetzt, tritt aber erst 1942 in Kraft. Just in diesem Zeitraum wird als letzte Person in der Schweiz der 32-jährige Zürcher Hans Vollenweider zivil hingerichtet. Er hat drei Menschen getötet, zuvor ist er im Juni 1939 nicht mehr in eine Arbeitskolonie zurückgekehrt. Ein Chauffeur, ein Pöstler, ein Polizist sind seine Opfer. Zwei der drei Taten hat er eiskalt ausgeführt. Die Witwe des Polizisten spricht sich am Ende gegen die Exekution Vollenweiders aus. Doch das Parlament des Kantons Obwalden, wo der Prozess stattgefunden hat, lehnt die Begnadigung ab – Vollenweider muss sterben. Die Guillotine, mit der das Urteil am 18. Oktober 1940 in Sarnen vollstreckt wurde, steht heute im Historischen Museum Luzern.

Freitag, 17. Dezember 2021

Zentralschweizer Weihnachtsgeschenk


Diesen Herbst verwarf ich gleich zweimal Wandervorhaben bei Luzern. Beide Male hätten wir wegen Bauarbeiten der Bahn auf einen Ersatzbus umsteigen müssen, das ist oft ein bisschen mühsam. Anfang Woche nun, las ich gestern, ist nach einjähriger Bauzeit die Zentralbahn-Doppelspur eingeweiht worden. Sie ist die Voraussetzung der neuen, soeben lancierten S41, die die Strecke Luzern-Horw befährt. In Spitzenzeiten verkehrt ab sofort alle sieben Minuten ein Zug. Die S41: sozusagen Luzerns Weihnachtsgeschenk.

P.S. Das Schöne an einem eigenen Blog ist, dass man bringen kann, was man will. Das Foto passt nicht wirklich zum Thema des Tages. Mir gefiel vorgestern im Morgengrauen beim Bahnhof Luzern halt einfach die weihnachtlich illuminierte Seebrücke.

Donnerstag, 16. Dezember 2021

Wandern in Polynesien

Auf dem Rotstock. Nur knapp aus dem Nebel ragt etwas links oberhalb der Bildmitte der Bürgenstock.
Talfahrt ins Grauen, äh, Graue.

Knutwiler brachte Farbe
 in meinen Tag.
An gewisssen Wintertagen ist die Schweiz Polynesien. Das Land der vielen Inseln, die als Spitzen, Kämme, Riffe aus dem Nebelozean ragen. Gestern fuhr ich mit der Bahn nach Rigi-Klösterli und drehte von dort auf gespurten Pisten eine gut zweieinhalbstündige Runde: via Riedboden hinauf nach Staffel, von dort noch höher hinauf auf den Rotstock und über First wieder hinab zum Klösterli. Auf dem Rotstock, dem höchsten Punkt meiner Tour auf 1658 Metern, war der Rundblick grossartig. Dass zu meinen Füssen im Grau Menschen leben, fand ich unfassbar. Drei Stunden später war ich selber wieder einer von ihnen.

Mittwoch, 15. Dezember 2021

Luzerner Grössenwahn

Der Riese von Reiden, wie er auf der Kapellbrücke in Luzern zu sehen ist.

Knochen des Mammuts von Reiden im
Naturhistorischen Museum Luzern.
1577 treten in Reiden LU unter einer umgestürzten Eiche massive, ja monströse Knochen zutage. Ein Arzt vermisst sie und verkündet: Sie stammen von einem Riesen, der etwas mehr als fünfeinhalb Meter gross war. In den folgenden Jahrhunderten entwickeln die Luzerner eine Art Grössenwahn, sie glauben, sie seien körperlich dem Rest der Schweiz überlegen. 1783 kommt aus Deutschland ein ernüchternder Befund. Ein Professor hat die Knochen untersucht und geht von einem Urzeit-Elefanten aus. Das ist soweit korrekt. Es handelt sich, wissen wir heute, um ein Mammut, dessen Überreste die ersten sind, die man in der Schweiz gefunden hat. Der Riese von Reiden ist übrigens auf einer der Bildtafeln der Luzerner Kapellbrücke zu sehen. Gestern war ich im Naturhistorschen Museum von Luzern. Dort sind drei der Knochen aus Reiden bzw. die Kopien ausgestellt.

Dienstag, 14. Dezember 2021

Zuerst einer, dann zwei, dann drei

Der mittlere der drei Winterthurer Walcheweiher. Hier gibt es auch eine Hütte und einen Grillplatz.

"Walken" oder "walchen" ist eine gewerbliche Technik, bei der man ein Material kräftig knetet, drückt, zieht. Man walkt zum Beispiel traditionell in Wasser eingelegte Textilien, in früheren Jahrhunderten setzte man dafür manchmal die Füsse ein, kein Wunder, heisst auf Englisch "to walk" eben walken, aber auch zu Fuss gehen oder wandern. Am Samstag kamen wir im Lindbergwald, der zur Stadt Winterthur gehört, an den historischen Walcheweihern vorbei. Ursprünglich gab es an diesem Ort nur einen Weiher, zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren es schon zwei. 1892 legte die Stadt den dritten Weiher an. Dies, weil mittlerweile die Brauerei Haldengut im Winter hier Eis gewann und der Bedarf nach diesem immer mehr gewachsen war. Heute dienen die Weiher samt dem umliegenen Forst als Naherholungszone. Und als Badeplatz.

Montag, 13. Dezember 2021

Das fleissige Mühlerad

Wanderzmittag im Restaurant Riedmühle, Gemeinde Dinhard.
Das Mühlerad hinter dem Restaurant.

Das Wetter war lieb zu uns am Samstag. Wir waren kaum am Bahnhof von Winterthur losgezogen, als der Sanftregen sich für den Rest des Tages verzog. Die Route führte uns acht durch praktisch schneeloses Gelände zu den Walcheweihern oberhalb des Kantonsspitals, weiter über den Rosenberg nach Seuzach, das wir freilich nur tangierten, und zur Mörsburg auf ihrem langgezogenen Kamm, dem Stadlerberg. Dann kam das Waldstück namens Elend. Da war wirklich nichts zu sehen von Misere und Unglück. Grossartig war kurz darauf der Zmittag im Restaurant Riedmühle, einem urgemütlichen Lokal, hinter dem das Mühlerad sich fleissig drehte, als sei man noch im Mittelalter und gelte es, säckeweise Getreide zu mahlen. Vom Riz Casimir über den Zander und das Cordonbleu bis zum Fleischspiess zum Selberbrutzeln auf dem heissen Stein: alles bestens. Der Nachmittag war alsbald ein langes Auslaufen durchs weite Land via Rickenbach, Menzengrüt und Kefikon Richtung Frauenfeld. Am Schluss überquerten wir die Kantonsgrenze, Islikon, an dessen ödem Bahnhof wir die Zürcher Wanderung (4 1/2 Stunden, 325 Meter aufwärts, 335 abwärts) gleich darauf beendeten, liegt im Thurgau.
Winter im Flachland.

Die Mörsburg, einst ein wichtiger Adelssitz, gehört der Stadt Winterthur.

Sonntag, 12. Dezember 2021

Bobfahren in Dinhard


Südöstlich von Dinhard ZH kamen wir gestern unweit der Riedmühle an einer Tafel vorbei, die verkündete, dass es hier eine Rollbobbahn gebe. Tatsächlich erblickten wir gleich am Waldrand die gut 100 Meter lange, sich sanft senkende, dann ebenso sanft wieder steigende schnurgerade Asphaltpiste mit zwei eingearbeiteten Schienen. Seit 1971 gibt es die Anlage auf dem Gelände der Sponsorin, der Winterthurer Baufirma Toggenburger. Dank ihr können die Mitglieder des Bob Club Zürich in den warmen, eislosen Zeiten des Jahres das schnelle Starten üben. Das taten an diesem Ort einst auch Jean Wicki, Hans "Hausi" Leutenegger, Werner Camichel und Edy Hubacher. 1972 gewann der Schweizer Viererbob in dieser Besetzung an den Olympischen Winterspielen in Sapporo Gold.

Samstag, 11. Dezember 2021

Ab ins Elend

Das Waldstück "Elend" liegt nah Schloss Mörsburg.

Heute führe ich mein Wandergrüppli gezielt ins Elend. So heisst ein Waldstück zwischen Seuzach und Rickenbach im Kanton Zürich. Der Flurname ist ein Rätsel. Gab der Wald nur mieses Holz her? Ist die Bezeichnung also ähnlich konstruiert wie "Gibisnüd" für einen Acker, dem nur ein spärlicher Ertrag abzutrotzen war? Nachdem ich spekuliert hatte, schlug ich nach und stellte auf ortsnamen.ch fest, dass es in der Schweiz mehrere "Elend" gibt. Zum "Elend" in Bubendorf im Baselbiet vermerkt die wissenschaftliche Datenbank, dass in diesem Wort "Salweide" (die Weidenart) und "Land" verschmolzen sein könnten. Oder es handelt sich um die Kombination von "Saal" (Herrschaftssitz) und "Land". Womöglich lassen sich diese verwandten Ideen ja auf unser Zürcher"Elend* übertragen, zu dem die Datenbank nichts sagt. Einfacher ist eine andere Interpretation, eine aus Deutschland, wo der Name auch mehrfach vorkommt. Im Aufsatz eines Forschers wird auf die ursprüngliche Bedeutung von "Elend" hingewiesen, das früher so viel hiess wie: fremdes, abgelegenes Land ausserhalb der sicheren Umgebung. "Elend" genannt wurden demgemäss Orte, an denen Leute im Abseits rasteten, die auf der Durchreise waren. Diese Interpretation gefällt mir sehr gut. Ob sie auf das "Elend" zutrifft, das wir heute Samstag erwandern wollen, kann ich nicht sagen.

Freitag, 10. Dezember 2021

Säubern nach Zürcher Art

Das Firmenlogo. (SanDurgo2015 / Wikicommons) 
Dass ich kürzlich in der "Schweizer Familie" die Namen starker Schweizer Marken entschlüsselte, also zum Beispiel erklärte, dass der Name des Wäscheständers "Stewi" ein Zusammenzug von "Steiner" und "Winterthur" ist – das habe ich hier erzählt. Ich bekam dann Lob von Leserin Marianne. Nur grad "Durgol" hätte sie auch noch gern erklärt gehabt, schob sie nach. Voilà: Das Entkalkungsmittel kombiniert den Familiennamen "Düring" mit der wissenschaftlich klingenden Endung -ol, wie wir sie etwa auch in "Odol" finden. Maria Düring-Keller, die Grossmutter der drei heutigen Firmeninhaber, mischte das Produkt 1951 aus Substanzen, die ihr Mann, ein Drogist, mit nach Hause gebracht hatte. Firmenstandort ist Dällikon. Vor sieben Jahren leistete sich diese Gemeinde im Zürcher Unterland einen hübschen Aprilscherz. Sie kündigte an, sich zu Ehren der bekannten Firma in "Durgol" umzubenennen.

Donnerstag, 9. Dezember 2021

Regenwetternahrung

Mein Hamburger. Unten das Lokal, in dem es ihn gibt.

Wer wandert, soll auch essen. Und umgekehrt: Wer isst, soll auch wandern. Gestern war ich ab neun Uhr mit meinem Göttibub unterwegs in Zürich, es regnete durchgehend heftig, wir kauften das Weihnachtsgeschenk des 13-Jährigen, lösten in einem anderen Laden einen Gutschein ein, den er bei sich hatte, besichtigten zudem meinen Arbeitsplatz und das ganze Tamedia-Gebäude. So was gibt Hunger. Am Mittag gingen wir zu "The Butcher and his daughter" an der Badenerstrasse und bestellten den Crispy-Chicken-Hamburger. Er war so was von gut vom perfekt gebratenen Speck über das Pouletfleischli bis zum Ei und dem herrlich knusprigen Bun. Ich will wieder in dieses Restaurant, das im Diner-Look dekoriert ist. Kompensativ dazu muss gewandert werden – Kalorien vernichten und so.

Mittwoch, 8. Dezember 2021

Oibel1 und sein Mural


Man nennt ein solches Wandgemälde "Mural", in Zürich hats immer mehr davon. Dieses ist seit einigen Wochen an der Ecke Kalkbreite-/Seebahnstrasse in Wiedikon zu sehen. 17 Meter hoch ist es und stammt vom Künstler Oibel1. Der heisst im Alltag Samora Bazarrabusa und brauchte mit seinem Team fünf Tage für die Monstersprayerei.

Dienstag, 7. Dezember 2021

Das Galgenhaus


Zofingen, oben links der Bahnhof, unten rechts der alte
Richtplatz. Er liegt direkt an der Kantonsgrenze.
1798, kurz nach dem Ende des Ancien Régime in unserem Land, verfügt das Direktorium der Helvetischen Republik die Abschaffung der Folter. Auch wird die Zahl der Hochgerichte, welche die Todesstrafe aussprechen können, stark reduziert, es bleibt noch eines pro Kanton. Endgültig verboten wird die Todesstrafe im zivilen Bereich schweizweit erst 1942. Exakt 50 Jahre später verschwindet sie auch aus dem Militärstrafrecht.

Am Samstag besichtigten wir in Zofingen den alten Richtplatz, eine von insgesamt sieben Hinrichtungsstätten im Unteraargau. Hier wurden vom 14. Jahrhundert bis 1798 die vom örtlichen Blugericht verhängten Todesurteile vollstreckt. Vor rund 60 Jahren entdeckte man den vergessenen Platz im Wald, er wurde restauriert; vier Meter weiter markiert ein alter Stein die Grenze zum Kanton Luzern. Zu sehen ist ausser einem Gedenkschild der Rest einer Mauerumfriedung, des sogenannten "Galgenhauses", innerhalb dessen die Exekution vollzogen wurde. Sowie die runden Mauerfundamente, die die zwei Vertikalsäulen des Galgens trugen. Das Waldstück, in dem er stand, ist auf der Karte mit "Galgenberg" beschriftet.

Montag, 6. Dezember 2021

Die Wigger schäumte kakaobraun

Die Wigger bei Dagmersellen.
Tabakscheune zwischen Wikon und Reiden.
Die Prognose hatte starken Wind und starken Regen angekündigt, nein, angedroht. Vor Ort, im Wiggertal, erwies sich am Samstag der Regen als harmlos, und von Sturm war nichts zu bemerken. Auch war es verhältnismässig warm, angenehm. Einfach war die Route, wir wanderten in drei Stunden, wozu Zeit für eine Besichtigung kam, von Zofingen hinauf zum Adelboderchopf und zur Marienburg, stiegen ab nach Wikon, gingen weiter nach Reiden und von dort, jetzt direkt an der kakaobraun aufgeschäumten Wigger, nach Dagmersellen. Dort gabs Zmittag im italienischen Restaurant La Stazione, das Essen war untadelig, der Wein auch. Was die erwähnte Besichtigung angeht: Eindruck machten uns in Zofingen die Mosaikböden zweier römischer Villen, die 1826 entdeckt wurden und durch ein Paar neuzeitlicher Bauten im klassizistischen Stil nicht nur geschützt, sondern auch geschmückt werden. So einen Badezimmerboden hätte ich auch gern, dachte ich vor Ort.
Zofingen, einer der zwei Bauten, die die antiken Mosaiken schützen.
Die hatten Stil, die alten Römer!