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Dienstag, 20. November 2018

Tod eines Adeligen

Eduard von Falz-Fein 1998.
(Ivanpopoff/ Wikicommons)
Gestern las ich im Internet, dass der Baron Eduard Alexandrowitsch von Falz-Fein gestorben ist. Was für ein Name, was für ein Leben! Er wurde noch im Zarenreich geboren und sah als Bub das Bernsteinzimmer, jenen Prachtraum, den der Preussenkönig Friedrich Wilhelm I. dem Zaren seiner Zeit schenkte. Im Zweiten Weltkrieg raubten die Deutschen angeblich das Bernsteinzimmer, seither ist es jedenfalls verschollen; in Sankt Petersburg ist eine Kopie zu sehen. Der Baron emigrierte nach der Oktoberrevolution nach Westeuropa und begründete in Liechtenstein eine neue Existenz. In Vaduz besuchte ich ihn vor 15 Jahren. Nun hat ein Hausbrand das 106-jährige Leben des Eduard Alexandrowitsch von Falz-Fein am 17. November beendet. 

Hier mein Artikel aus dem Nachrichtenmagazin "Facts" von 2003.
Der Bernstein-Baron 
Weltwunder - Als Kind sah er das Bernsteinzimmer. Nun feiert Eduard von Falz-Fein die Einweihung der Kopie. 
Von Thomas Widmer Das Telefon klingelt in der Villa, Baron Eduard von Falz-Fein nimmt ab und wechselt in ein hartes Französisch. Der Belgier am andern Ende der Leitung behauptet, er habe interessante Informationen zum Bernsteinzimmer. «Kommen Sie am Wochenende zu mir nach Vaduz», sagt der Baron schliesslich.
«Wie alle meine Gäste wird auch dieser abwaschen müssen. Dafür koche ich ihm ein wunderbares Abendbrot», sagt der Baron. Aber warum empfängt er den Belgier überhaupt, nachdem er in den letzten Jahren Hunderte Anrufe bekommen hat und dazu sackweise seltsame Briefe, in denen dubiose Fremde Informationen übers Bernsteinzimmer anboten? «Weil er anders als die meisten anderen kein Geld wollte.»
Eduard von Falz-Fein, Jahrgang 1912, russischer Emigrant mit einem Schuss Romanoff-Blut, Neo-Liechtensteiner mit Villa neben dem Schloss des Landesfürsten, bekannter Mäzen und Rückführer russischer Kunst nach Russland - dieser Falz-Fein ist eine treibende Kraft bei der Suche nach dem legendären Bernsteinzimmer.
Am 31. Mai wird die Kopie des Zimmers in Sankt Petersburg feierlich eröffnet. «Schröder geht hin, Putin geht hin, meine Wenigkeit geht auch hin.» Der Baron lacht, ein durchs Alter kaum gebeugter Mann im eleganten, doch sichtbar getragenen Anzug. Die Haare wellen sich im Nacken.
Er ist in Sankt Petersburg der Ehrengast. Nicht nur, weil er einige Male Suchaktionen nach dem Zimmer finanzierte, 500 000 Dollar Belohnung ausschrieb, in einer internationalen Findungskommission mithalf. Darüber hinaus ist Falz-Fein einer der wenigen, wenn nicht der einzige noch lebende Mensch, der das echte Bernsteinzimmer mit eigenen Augen sah. Jenen Prachtraum also, der vom Preussenkönig Friedrich Wilhelm I. dem Zaren Peter I. geschenkt wurde, in Petersburg noch mehr Schmuck und Verzierungen erhielt und als achtes Weltwunder zelebriert wurde, bis ihn im Zweiten Weltkrieg die Deutschen raubten.
Die Spur des Zimmers verliert sich 1945 im Schloss Königsberg in Ostpreussen, als die Engländer ihre Bomben abwarfen. All die Theorien, wie und wo es überlebt haben könnte, findet der Baron abwegig bis abstrus. «Die Belohnung liegt bereit. Aber ich werde sie nie auszahlen müssen.»
Das Zimmer sei vor Ort verbrannt, dessen ist der Baron gewiss. «Leider. Aber die Kopie ist noch schöner als das Original.»
Falz-Fein erinnert sich genau, wie er als kleiner Bub bei seinem Grossvater zu Besuch in Sankt Petersburg war. Der war Direktor des Pagen-Corps und hatte zeitweise eine Wohnung im Zarenschloss. Eines Tages nahm er seinen Enkel an der Hand und führte ihn ins Bernsteinzimmer.
«Wie das glänzte. Ich habe es nie vergessen.» Der Baron singt den Satz. Draussen vor den Fenstern ist Ländle, strömt der Rhein, glänzt der Schnee auf dem Alvier. Drinnen in der Villa aber ist Russland.
Als 1917 die Revolution kam, flohen die Falz-Feins nach Deutschland, später an die Côte d'Azur, wo der Vater eine Ferienvilla besass. Falz-Fein studierte in Nizza und Paris, wurde französischer Studentenmeister im Radfahren, zog als Sportjournalist nach Berlin, erlebte die Vorbereitung auf die Olympiade, traf Leni Riefenstahl.
Kürzlich erst hat er Riefenstahl wieder gesehen. «Ich muss sagen, sie hält sich gut», sagt der 91-Jährige über die 100-Jährige.
Nach dem Geheimnis der eigenen Vitalität gefragt, beugt er sich leicht nach vorn. «Hervorragende Frage. Ich gratuliere.»
Dann deklamiert er mit schnarrender Stimme und präzis hochdeutscher, von Österreichismen gereinigter Diktion: «Ich esse wie ein Spatz. Ich habe nie einen Tropfen Alkohol getrunken. Und ich gehe jeden Tag um neun zu Bette, lasse stets das Fenster offen und schlafe zwölf Stunden.»
Es ist klamm im staubigen Wohnzimmer voller Gemälde. Der Baron ist ein harter Sparer, überheizt nicht, gibt pro Monat bloss 70 Franken für Essen aus, zelebriert die Leidenschaft zum Geldnichtausgeben wie Dagobert Duck, lebt wie dieser allein. Die Tochter Ludmila hat längst geheiratet.
Ist er wach, hat er zu tun. Werkt in Garten und Haushalt. Und bereitet, während ihn von ihren Bildern all die Fürsten, Popen, Generäle und Nobeldamen beäugen, die Überführung der Familien-Dokumente ins russische Staatsarchiv vor, wo ein Raum wartet. Manchmal steuert er auch seinen Mercedes von der Hangvilla zu Tale und fährt etwa nach Bern zu einem Empfang der russischen Botschaft. Dort ist er gern gesehen, denn schon in der Endphase des Kommunismus begann er, Kunstgegenstände aufzukaufen und in die alte Heimat zurückzuschaffen. Präsident Putin dekorierte ihn dafür mit einem Orden.
Und als er eines Tages feststellte, dass die russische Botschaft in Bern anders als andere Residenzen keine vergoldeten Zaunspitzen hatte - hat er da nicht das nötige Blattgold herangeschafft? Ein initiativer Mann.
In der Revolution verloren die Falz-Feins, was ihre Vorfahren seit dem Urahn, einem deutschen Auswanderer des 18. Jahrhunderts, aufgebaut hatten: ihre riesigen Landgüter nahe der Krim in der heutigen Ukraine. «Askania Nova» vor allem, das den grössten Tierpark Russlands beherbergte. «Askania Nova» hat der Baron auch seine Vaduzer Villa getauft. Hier fand er nach den Jahren als Reporter - und, wie er gern verrät, glühender Playboy - Unterschlupf und Heimat, wurde 1936 eingebürgert. Eine alte Adels-Connection: Liechtensteins späterer Fürst, Prinz Franz I., war seinerzeit Botschafter Österreich-Ungarns am Zarenhof und lernte dort die Falz-Feins kennen und schätzen.
Bis heute ist der Baron für die Gastfreundschaft dankbar. Einmal im Monat nimmt er darum einen Besen, geht die 100 Meter zum nahen Bronzedenkmal des Prinzen und poliert dieses nach Kräften.
Als Mann der Tat erkannte Falz-Fein nach dem Krieg sofort, dass der Tourismus aufblühen würde. An bester Lage eröffnete er Liechtensteins ersten Souvenir-Shop und verkauft dort bis heute kleine und grosse Erinnerungen ans Ländle; aus dieser Geldquelle finanzierte er sein Engagement für die Kunst. Gründer des Liechtensteinischen Olympischen Komitees war er auch.
Und er hatte immer wieder kommerzielle Genieblitze. «Liechtenstein braucht eine Melodie», fiel ihm in den Fünfzigerjahren ein. Ein befreundeter Komponist auf Besuch nahm die Anregung auf, setzte sich an Falz-Feins Flügel und komponierte die «Liechtensteiner Polka». Ein globaler Gassenhauer, zu kaufen auch im Laden des Barons, wo 100 000 Stück der 45er-Single über den Tisch gingen. Falz-Fein ist zwar ein russischer Nobler. Hat aber den Business-Riecher eines US-Selfmademan.
Am 22. Mai schon reist er ab nach Sankt Petersburg. Im Juni, wenn er zurück ist, wird er sich der Promotion seiner Erinnerungen widmen, welche nächstens auf Deutsch erscheinen. Das Buch «Baron von Falz-Fein. Ein russischer Aristokrat in Liechtenstein», verfasst von einer Russin: ein Feuerwerk der Anekdoten, ein Defilee der Prominenten von Simenon bis Soraya, ein Schaufenster aufs turbulente 20. Jahrhundert.
Charmant auch die Prisen unfreiwilligen Humors, der aus der Distanz der Autorin zum Ländle erwächst. O-Ton über Liechtenstein: «Es ist ein Reich des Wohlstandes, es gibt keine Kriege, keine Gauner und Verbrecher, das Gefängnis steht leer.»

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