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Freitag, 7. Oktober 2016

Trojan und das Wandern

Mit grossem Interesse las ich diese Woche im Zug nach Bern und später im Retourzug die eben erschienene, von meinem alleraktivsten Wanderkollegen René P. Moor herausgegebene Schrift "Wanderkunst - Lebenskunst". Ihr Autor, der Deutsche Ernst Walter Trojan, ist zuallererst Zeitdiagnostiker. An seinem Volke erkennt er im Jahre 1910, als das Büchlein in München erscheint, eine Degeneriertheit auf allen Ebenen: zu viel Verschulung und Verbildung, zu viel Sitzen und zu wenig Gehen, zu viele neuzeitliche Laster wie adoleszente Alkoholexzesse. Und insbesondere sind für ihn das Automobil und die Eisenbahn mit schuld daran, dass der Deutsche und die Deutsche nicht das Niveau an Kraft und Vitalität einnehmen, das ihnen zustünde. Trojan benennt das alles mit grösstmöglicher Leidenschaft. Und er plädiert fürs Wandern als Allerheilmittel. Hier eine Kostprobe, in der dargelegt wird, warum das Wandern für die Weiblichkeit im Land eigentlich die einzige geeignete Körperbetätigung ist - wir Heutigen dürfen herzlich lachen.
"Die meisten Sportarten haben sich für das weibliche Geschlecht als ungeeignet erwiesen. Der Grund ist klar, wird aber viel zu wenig erkannt und gewürdigt. Die weiblichen Genitalorgane sind von einer ganz ausserordentlichen Empfindlichkeit. Deshalb sind alle Sportarten, die mit Erschütterungen und heftigen Sprüngen verbunden, also Reiten, Radfahren, Tennis, Turnen für das weibliche Geschlecht gefährlich."

Donnerstag, 6. Oktober 2016

Die Bauernfamilie und ihr Bähnli

Seit einiger Zeit gehört zum touristischen Angebot des Engelbergertals die Buiräbähnli-Safari, eine Kombination aus Wandern, Seilbahnfahren, Übernachten in der Berghütte. Spiegel online brachte gestern eine Reportage zum Thema vom Bergbauernhof Brändlen auf 1200 Metern, hoch über Wolfenschiessen.  Dort wohnt die Familie Schmitter, die nur dank dem Seilbähnli überhaupt existieren kann. "Die Bahn ist unser Treppenhaus", sagt der Bauer. Er züchtet Dexter-Rinder, denn die sind nur 500 Kilo schwer. Geht es zum Metzger, kann er ein solches Tier im Gegensatz zu einer schwereren Schweizer Braunkuh per Bähnli zu Tal bringen - in einem Transportkorb unter der Bahn. Schmitter muss mit in den Korb: "Wenn die Tiere allein fahren, kriegen sie Angst."
Das Seilbähnchen, das von Wolfenschiessen zu den Schmitters
hinauffährt. (Screenshot Buiräbähnli-Safari-Homepage)

Mittwoch, 5. Oktober 2016

Giftig? Na und?

Mmm, Bucheckern. (Wikic./ Rasbak)
Schöner Artikel gestern im Tagi, die Journalistin ging mit auf eine Exkursion des WWF, die Gruppe erkundete im Säuliamt, südlicher Kanton Zürich, Wildpflanzen. Die botanische Mission entschleunigte alle, nach anderthalb Stunden war man 300 Meter weit gekommen. Soviel gibt es zu entdecken, wenn man Bäume, Büsche und insbesondere den Boden genau mustert. Hier ein paar Trouvaillen - zuvor aber noch der Hinweis, dass die nächste Exkursion der WWF-Reihe "Essbare Wildpflanzen im Jahresverlauf" dem Winter gilt und am 21. Januar statttfindet.

Nun die Trouvaillen:
  • Die Eibe ist integral hochgiftig. Nun, nicht ganz. Die rote Beere ist essbar und schön süss, freilich muss man den Kern sofort ausspucken. Der kann killen.
  • Bucheckern oder auch Buchennüssli sind - leicht - toxisch. Ausser man wird die dünne Haut los. Am besten röstet man die braunen Dinger.
  • Der Kleine Wiesenknopf ist ein idealer Aufstreu für ein Butterbrot und passt auch zu Fisch und Poulet. In der Grünen Sauce, einer Frankfurter Spezialität, ist er in der Regel drin.
  • Der Schwarze Holunder ist giftig. Gleichzeitig strotzen die Beeren vor Vitamn B und C, ein gutes Grippemittel. Was tun? Vollständig reifen lassen. Staudenteile ganz los werden. Erhitzen. Das Mus kenne ich aus meiner Kindheit, man nennt es im Appenzellerland "Holderzonne".

Dienstag, 4. Oktober 2016

Zweimal Zirkel

"Der Zirkel wird lebendig." Als ich das kürzlich draussen beim Eingang zum Flughafen Zürich las, dachte ich zuerst an Literatur. "The Circle" ist ein grossartiger Roman von Dave Eggers über eine Facebook sehr ähnliche Firma und über eine junge Frau, die dort zu arbeiten beginnt und dabei in eine Art fröhlichen Totalitarismus der kalifornischen Art gerät. Lesen! Unbedingt! Beim "Circle" am Flughafen handelt es sich aber um etwas anderes, um ein Bauprojekt nämlich. Auf dem Areal werden neue Hotels entstehen, ein Kongresszentrum, ein Gesundheitszentrum des Unispitals Zürich, dazu kommen unzählige neue Büroräume sowie Ladenlokale. Die Realisierung des Gebäudekomplexes wird gut eine Milliarde Franken kosten, Investoren sind die Flughafen Zürich AG sowie der Versicherungskonzern Swiss Life.

Montag, 3. Oktober 2016

Das Blaue Wunder aus der Nähe erleben

Ich wüsste nicht zu beziffern, wieviel Käse ich auf meinen Wanderungen schon gegessen habe - und wieviel gekauft. Regelmässig reist ein Mutschli mit mir heim, und was ich immer feststelle: Der erste Bissen ist der beste. Ich meine den Probierbissen, bevor ich das Mutschli in den Kühlschrank lege. Das liegt daran, dass der Käse im Rucksack ein wenig warm wurde und an Geschmack zulegt. Und in meinem Kühlschrank ist es eigentlich zu kalt für ihn. Sei dem, wie dem sei, Käse ist meine grosse kulinarische Liebe. Mein Langzeitding. Und daher wird es Zeit, dass ich endlich, endlich jenes Buch aus dem AT Verlag erwähne, das schon so lange auf meinem Tisch liegt. "Chäswandern" von Tina Balmer und Giorgio Hösli (Fotos) führt auf schönen Routen zu Käsereien überall im Land, wir erfahren, wo das Blaue Wunder entsteht, wo der Jakobskäse, wo der Zincarlin. Eine gute Sache.

Sonntag, 2. Oktober 2016

Ein Riesenpuff! Es stank!

Rona Diem kam diese Woche von der Alp wieder in die Stadt. Ich traf sie im Zürcher Kreis vier, wo sie wohnt, und sprach mit ihr über ihren ersten Alpsommer - was das Wetter tat, ob sie eine Lieblingskuh hatte, wie ihr Lebensgefühl auf der Alp Vereina und der Alp Peil war. Auch wollte ich wissen, ob die Stadt Rona Diem nicht wie das Paradies vorkommt angesichts der Härten des Sennenlebens. Hier ihre Antwort im Interview, das gestern erschienen ist:
Als ich zwischendurch nach Zürich kam, fand ich: ein Riesenpuff! Es stank, die Luft war mies. Auf der Langstrasse hätte ich am liebsten die Leute zusammengetrieben mit «Chumm, Chüeli, chumm, chumm». Ich ging ins Kaufleuten in ein Sophie-Hunger-Konzert. In Bergschuhen. Vielleicht roch ich nach Stall. Ich dachte: Wir sind eine Geissenherde, wie wir alle nah beieinanderstehen und in dieselbe Richtung staunen.
Soweit so gut. Doch nun stelle ich grad fest, dass das Interview gar nicht online kam, ich kann es nicht verlinken. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als hier den ganzen Text integral zu bringen.

++ «Rind 6474 war mein Liebling»
Rona Diems erster Alpsommer ist vorbei, sie ist wieder in Zürich. Was sie gelernt hat: Käsen, Melken und Töfffahren. Was sie vermisst: so vieles; sogar den hinterhältigen Hahn Napoleon.

Die Alpsaison ist zu Ende, Sie sind zurück in der Stadt. Gut geschlafen?

Sagen wir es so: Ich habe geschlafen. Ich hätte gedacht, der Stadtlärm würde mich stören. Obwohl es auf der Alp auch nicht mäuschenstill ist, man hört die Glöggli der Geissen, der Bach rauscht. In Zürich irritiert mich etwas anderes: Ich vermisse die totale Dunkelheit.

War die Finsternis auf der Alp nie unheimlich?

Die ersten Wochen schlief ich im Dachstock, überall hatte es Spinnen. Das war weit abseits meiner Komfortzone. Irgendwann merkte ich, dass die Spinnen für sich blieben und ich für mich. Wenn sich eine zu mir verirrte, konnte ich sie wegblasen. Ich entspannte mich. Die Angst war bloss eine Angst in meinem Kopf. So ist das auch mit dem Dunkel.

Wie kamen Ihnen die Städter vor, die vorbeiwanderten?
Früher war ich die Städterin, die gwundrig an der Alp vorbeizog. Heuer waren die Rollen vertauscht. Ein Beispiel: Auf der einen Alp hatten wir zwei Kühe für unseren Eigenbedarf an Milch. An ihnen lernte ich das Handmelken. Der Hirt führte mir auch kurz die Melkmaschine vor. Anderntags ging er ins Tal und kam am Abend lange nicht wieder. Die Kühe muss man im 12-Stunden-Rhythmus melken, es wurde Zeit. Und ich wurde nervös. Ein später Biker fuhr heran, um die 50, und bat um ein Glas Milch. Ich fragte nur: «Kannst du melken?» Er: «Nein, aber ich will helfen.» Wir trugen die Melkmaschine heran, ich ging die Sache Schritt für Schritt an, er schaute zu, es klappte. Wir waren beide stolz, tranken ein Bier zusammen, und ich gab ihm selbst gemachtes Joghurt mit.

Wie würden Sie das Lebensgefühl auf der Alp beschreiben?

Die Welt ist im Jetzt. Du kannst den Tieren nicht sagen: «Ich bin heute müde, ich melke morgen.» Du kannst nicht diskutieren, wenn sie in die Nachbarweide einbrechen. Du musst handeln. Es ist ein gewisser Rausch. Ein Mix aus Euphorie, Ehrfurcht und Erschöpfung. Am Abend Befriedigung ob der getanen Arbeit und darob, alle Tiere gesund wieder vom Berg runtergebracht zu haben. Vertrauen kam auf. Ich bekam das Gefühl für die Tiere, für das Wetter, Gewitter, Regen, den Bach.

Wie fühlte sich Ihr Körper an?

Er tat weh bis zum letzten Tag. Im Fitness oder Yoga in der Stadt machst du eine Übung einige Male. In der Landwirtschaft machst du eine Arbeit, bis sie fertig ist, schwere Pflöcke tragen etwa. Du stehst um fünf auf und melkst und arbeitest durch. Abends melkst du wieder. Bis alles fertig ist, ist es halb neun. Dann hast du noch nicht geduscht, noch nicht gekocht, noch nicht gegessen. Einen freien Tag gibt es nicht.

Die Stadt ist dagegen das Paradies, denkt man, wenn man Sie hört.

Als ich zwischendurch nach Zürich kam, fand ich: ein Riesenpuff! Es stank, die Luft war mies. Auf der Langstrasse hätte ich am liebsten die Leute zusammengetrieben mit «Chumm, Chüeli, chumm, chumm». Ich ging ins Kaufleuten in ein Sophie-Hunger-Konzert. In Bergschuhen. Vielleicht roch ich nach Stall. Ich dachte: Wir sind eine Geissenherde, wie wir alle nah beieinanderstehen und in dieselbe Richtung staunen.

Hatten Sie eine Lieblingskuh?

Das war 6474. Wir wussten nur die Nummern der Rinder, nicht ihre Namen. Anfang Sommer mussten wir das Vieh auf eine höhere Weide treiben. Ich rief, doch die Kühe folgten mir nicht, sie frassen lieber vom feinen Gras. Dann merkte ich, dass eine Kuh doch loszottelte, der Tross schloss sich an. Ich dachte: ui, Chueli, du Schönschti, du Beschti. Ich fing an, 6474 zu lieben. Die schöne Braune kam dann jedes Mal nah zu mir, ohne aufdringlich zu werden. Wenn sie mir folgte, folgte mir die ganze Herde.

Passierten eigentlich nie Unfälle?

Das Führen hat Grenzen, du musst als Hirtin auch Vertrauen haben. Einmal war im Bevertal Hochwasser. Der Hirt sagte: «Wenn ein Kälbli in den Beverin fällt, ist es weg.» Wir trieben die Mutterkühe über den Steg, drei Kälbli rannten ihnen nach und stürzten in den Fluss. Irgendwie retteten sie sich ans andere Ufer. Bei den Geissen gab es Verletzungen, Wunden am Euter, eine hinkte. Einer der Geissböcke brach sich das Bein. Apropos: Böcke stinken wirklich. Sie urinieren sich selber ins Gesicht und sind ums Bärtchen immer etwas klebrig.

Erlebten Sie auch einmal extremes Wetter? Stürme, Gewitter?

Anfang August stand ein extremer Temperatursturz von 15 auf etwas über 0 Grad an, der Schnee würde praktisch zur oberen Kuhweide herabkommen. Wir mussten abschätzen, ob wir die Kühe dort oben lassen konnten, einen Stall hatten wir nicht. Wir stiegen ab in die Hütte, der Himmel wurde gelb, Gewitter folgten, es stürmte und regnete die ganze Nacht heftig. Am nächsten Tag war der Bach samt dem Wanderweg ein Strom, und der Regen wollte nicht aufhören. Auch in der folgenden Nacht schliefen wir kaum. Dann wachten wir auf – und der Himmel war strahlend blau! Wir konnten an den Bergflanken ablesen, dass es unsere Kühe weiter oben knapp nicht verschneit hatte.

Gab es übersinnliche, magische Momente? Momente, in denen Sie eine Art Kraft oder so spürten?

Übersinnlich wurde mir jedes Mal zumute, wenn ich den Kopf hob und das Panorama sah, die Felsen, die Vögel, das Wetter, den Wind, den Regen, die Wolken. Wenn man das in sich hineinlässt, hat es Kraft. Die Berge, die immer da waren, das Wasser, das fliesst, die Blumen, die blühen, alles von sich aus. Das waren Momente, die mich erwischten.

Und jetzt?

Jetzt sind die Tiere nicht mehr um mich. Der Hund Roxy etwa, genannt Rox Roxenson, der Angst vor Gewittern hatte und daher immer als Erster wusste, wann eines kam. Die zutrauliche Henne Berta. Der Hahn Napoleon, der mich jeden Tag aufs Neue zigmal von hinten attackierte.

Was haben Sie auf der Alp ganz konkret gelernt?

Arbeiten mit dem Hirtenhund. Töfffahren. Käsen. Und vor allem Melken, am liebsten von Hand. Du bist ganz nah beim Tier. Es schenkt dir seine Milch. Du merkst, wie diese Tätigkeit über die Liebe funktioniert, über die Beziehung.

Wollen Sie nächstes Jahr wieder auf die Alp?

Ganz sicher. Ich ging auf die Alp, um zu lernen. Dass es mich dermassen packen würde, habe ich wirklich nicht geahnt. Ich will der Arbeit mit den Tieren, der Landwirtschaft, den Bergen in meinem Leben einen Platz geben. Ich bin Künstlermanagerin, jetzt bin ich auch Weidemanagerin.

Personeninfo:
Rona Diem (36) lebt in Zürich. Sie betreibt Kommunikation und Marketing im Kultur-, speziell im Musikbereich. Ihren ersten Alp- sommer verbrachte sie im Bündnerland: kurzer Einstieg im Bevertal, dann Alp Vereina im Prättigau, danach Alp Peil bei Vals. Auf der einen Alp hatte sie es vor allem mit Rindern zu tun, auf der anderen mit Geissen. 
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Samstag, 1. Oktober 2016

Demo, Xeno, Auto

Kurios oder unheimlich? Medizinmann der Eskimos oder Inuit um 1900.
Er soll einem kranken Kind den bösen Geist austreiben. (Wikicommons)

Wie Leserinnen und Leser dieses Blogs wissen, sammle ich Adjektive und Einwohner-Bezeichnungen zu hiesigen Ortsnamen. Ein Bewohner von Amden ist ein Ammler, einer von Muhen ein Müheler und einer von Schmerikon ein Schmerkner. Kürzlich lernte ich, dass es für diese Gruppen- oder, grösser gefasst, Volksbezeichnung einen Ausdruck gibt: "Demonym".  Ustermer, Schweizer, Peruaner: alles Demonyme. Nun gibt es das Phänomen, dass manche Gruppe von aussen so benannt wird, wie sie es nicht mag, sie selber nennt sich anders. Berühmt ist das Beispiel des Wortes "Eskimo", das die Bezeichneten als abschätzig empfinden, sie wollen "Inuit" genannt werden (man erspare mir die Weiterung der Diskussion dahingehend, dass nicht alle Stämme im entsprechenden Gebiet "Inuit" akzeptieren). Auch für diese Aussen-Innen-Perspektive gibt es zwei Ausdrücke. Xenonym ist der Fremdname eines Volkes, Autonym derjenige, den es selber braucht.