Als ich zwischendurch nach Zürich kam, fand ich: ein Riesenpuff! Es stank, die Luft war mies. Auf der Langstrasse hätte ich am liebsten die Leute zusammengetrieben mit «Chumm, Chüeli, chumm, chumm». Ich ging ins Kaufleuten in ein Sophie-Hunger-Konzert. In Bergschuhen. Vielleicht roch ich nach Stall. Ich dachte: Wir sind eine Geissenherde, wie wir alle nah beieinanderstehen und in dieselbe Richtung staunen.Soweit so gut. Doch nun stelle ich grad fest, dass das Interview gar nicht online kam, ich kann es nicht verlinken. Da bleibt mir nichts anderes übrig, als hier den ganzen Text integral zu bringen.
++ «Rind 6474 war mein Liebling»
Rona Diems erster Alpsommer ist vorbei, sie ist wieder in Zürich. Was sie gelernt hat: Käsen, Melken und Töfffahren. Was sie vermisst: so vieles; sogar den hinterhältigen Hahn Napoleon.
Die Alpsaison ist zu Ende, Sie sind zurück in der Stadt. Gut geschlafen?
Sagen wir es so: Ich habe geschlafen. Ich hätte gedacht, der Stadtlärm würde mich stören. Obwohl es auf der Alp auch nicht mäuschenstill ist, man hört die Glöggli der Geissen, der Bach rauscht. In Zürich irritiert mich etwas anderes: Ich vermisse die totale Dunkelheit.
War die Finsternis auf der Alp nie unheimlich?
Die ersten Wochen schlief ich im Dachstock, überall hatte es Spinnen. Das war weit abseits meiner Komfortzone. Irgendwann merkte ich, dass die Spinnen für sich blieben und ich für mich. Wenn sich eine zu mir verirrte, konnte ich sie wegblasen. Ich entspannte mich. Die Angst war bloss eine Angst in meinem Kopf. So ist das auch mit dem Dunkel.
Wie kamen Ihnen die Städter vor, die vorbeiwanderten?
Früher war ich die Städterin, die gwundrig an der Alp vorbeizog. Heuer waren die Rollen vertauscht. Ein Beispiel: Auf der einen Alp hatten wir zwei Kühe für unseren Eigenbedarf an Milch. An ihnen lernte ich das Handmelken. Der Hirt führte mir auch kurz die Melkmaschine vor. Anderntags ging er ins Tal und kam am Abend lange nicht wieder. Die Kühe muss man im 12-Stunden-Rhythmus melken, es wurde Zeit. Und ich wurde nervös. Ein später Biker fuhr heran, um die 50, und bat um ein Glas Milch. Ich fragte nur: «Kannst du melken?» Er: «Nein, aber ich will helfen.» Wir trugen die Melkmaschine heran, ich ging die Sache Schritt für Schritt an, er schaute zu, es klappte. Wir waren beide stolz, tranken ein Bier zusammen, und ich gab ihm selbst gemachtes Joghurt mit.
Wie würden Sie das Lebensgefühl auf der Alp beschreiben?
Die Welt ist im Jetzt. Du kannst den Tieren nicht sagen: «Ich bin heute müde, ich melke morgen.» Du kannst nicht diskutieren, wenn sie in die Nachbarweide einbrechen. Du musst handeln. Es ist ein gewisser Rausch. Ein Mix aus Euphorie, Ehrfurcht und Erschöpfung. Am Abend Befriedigung ob der getanen Arbeit und darob, alle Tiere gesund wieder vom Berg runtergebracht zu haben. Vertrauen kam auf. Ich bekam das Gefühl für die Tiere, für das Wetter, Gewitter, Regen, den Bach.
Wie fühlte sich Ihr Körper an?
Er tat weh bis zum letzten Tag. Im Fitness oder Yoga in der Stadt machst du eine Übung einige Male. In der Landwirtschaft machst du eine Arbeit, bis sie fertig ist, schwere Pflöcke tragen etwa. Du stehst um fünf auf und melkst und arbeitest durch. Abends melkst du wieder. Bis alles fertig ist, ist es halb neun. Dann hast du noch nicht geduscht, noch nicht gekocht, noch nicht gegessen. Einen freien Tag gibt es nicht.
Die Stadt ist dagegen das Paradies, denkt man, wenn man Sie hört.
Als ich zwischendurch nach Zürich kam, fand ich: ein Riesenpuff! Es stank, die Luft war mies. Auf der Langstrasse hätte ich am liebsten die Leute zusammengetrieben mit «Chumm, Chüeli, chumm, chumm». Ich ging ins Kaufleuten in ein Sophie-Hunger-Konzert. In Bergschuhen. Vielleicht roch ich nach Stall. Ich dachte: Wir sind eine Geissenherde, wie wir alle nah beieinanderstehen und in dieselbe Richtung staunen.
Hatten Sie eine Lieblingskuh?
Das war 6474. Wir wussten nur die Nummern der Rinder, nicht ihre Namen. Anfang Sommer mussten wir das Vieh auf eine höhere Weide treiben. Ich rief, doch die Kühe folgten mir nicht, sie frassen lieber vom feinen Gras. Dann merkte ich, dass eine Kuh doch loszottelte, der Tross schloss sich an. Ich dachte: ui, Chueli, du Schönschti, du Beschti. Ich fing an, 6474 zu lieben. Die schöne Braune kam dann jedes Mal nah zu mir, ohne aufdringlich zu werden. Wenn sie mir folgte, folgte mir die ganze Herde.
Passierten eigentlich nie Unfälle?
Das Führen hat Grenzen, du musst als Hirtin auch Vertrauen haben. Einmal war im Bevertal Hochwasser. Der Hirt sagte: «Wenn ein Kälbli in den Beverin fällt, ist es weg.» Wir trieben die Mutterkühe über den Steg, drei Kälbli rannten ihnen nach und stürzten in den Fluss. Irgendwie retteten sie sich ans andere Ufer. Bei den Geissen gab es Verletzungen, Wunden am Euter, eine hinkte. Einer der Geissböcke brach sich das Bein. Apropos: Böcke stinken wirklich. Sie urinieren sich selber ins Gesicht und sind ums Bärtchen immer etwas klebrig.
Erlebten Sie auch einmal extremes Wetter? Stürme, Gewitter?
Anfang August stand ein extremer Temperatursturz von 15 auf etwas über 0 Grad an, der Schnee würde praktisch zur oberen Kuhweide herabkommen. Wir mussten abschätzen, ob wir die Kühe dort oben lassen konnten, einen Stall hatten wir nicht. Wir stiegen ab in die Hütte, der Himmel wurde gelb, Gewitter folgten, es stürmte und regnete die ganze Nacht heftig. Am nächsten Tag war der Bach samt dem Wanderweg ein Strom, und der Regen wollte nicht aufhören. Auch in der folgenden Nacht schliefen wir kaum. Dann wachten wir auf – und der Himmel war strahlend blau! Wir konnten an den Bergflanken ablesen, dass es unsere Kühe weiter oben knapp nicht verschneit hatte.
Gab es übersinnliche, magische Momente? Momente, in denen Sie eine Art Kraft oder so spürten?
Übersinnlich wurde mir jedes Mal zumute, wenn ich den Kopf hob und das Panorama sah, die Felsen, die Vögel, das Wetter, den Wind, den Regen, die Wolken. Wenn man das in sich hineinlässt, hat es Kraft. Die Berge, die immer da waren, das Wasser, das fliesst, die Blumen, die blühen, alles von sich aus. Das waren Momente, die mich erwischten.
Und jetzt?
Jetzt sind die Tiere nicht mehr um mich. Der Hund Roxy etwa, genannt Rox Roxenson, der Angst vor Gewittern hatte und daher immer als Erster wusste, wann eines kam. Die zutrauliche Henne Berta. Der Hahn Napoleon, der mich jeden Tag aufs Neue zigmal von hinten attackierte.
Was haben Sie auf der Alp ganz konkret gelernt?
Arbeiten mit dem Hirtenhund. Töfffahren. Käsen. Und vor allem Melken, am liebsten von Hand. Du bist ganz nah beim Tier. Es schenkt dir seine Milch. Du merkst, wie diese Tätigkeit über die Liebe funktioniert, über die Beziehung.
Wollen Sie nächstes Jahr wieder auf die Alp?
Ganz sicher. Ich ging auf die Alp, um zu lernen. Dass es mich dermassen packen würde, habe ich wirklich nicht geahnt. Ich will der Arbeit mit den Tieren, der Landwirtschaft, den Bergen in meinem Leben einen Platz geben. Ich bin Künstlermanagerin, jetzt bin ich auch Weidemanagerin.
Personeninfo:
Rona Diem (36) lebt in Zürich. Sie betreibt Kommunikation und Marketing im Kultur-, speziell im Musikbereich. Ihren ersten Alp- sommer verbrachte sie im Bündnerland: kurzer Einstieg im Bevertal, dann Alp Vereina im Prättigau, danach Alp Peil bei Vals. Auf der einen Alp hatte sie es vor allem mit Rindern zu tun, auf der anderen mit Geissen.
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Was für ein Kontrast- Programm wenn man mit Deinem Artikel vom Schlierener- Puff in der Zeitung vergleicht. Ich frage jetzt nicht, welches Interview Dir mehr Spass gemacht hat, aber zum Lesen waren beide Unterhaltsam. Beide zeigen wie unterschiedlich das Leben sein kann. Danke Thomas für die immer sorgfältige Wortwahl und die "nichtwertende" Schreibweise in gut oder schlecht :-))
AntwortenLöschenein fleissiger Blog- Leser
Dein Kommentar freut mich sehr! Auch, weil du siehst, was ich wollte - nicht werten, einfach nur erzählen. Danke!
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