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Starb heute vor 54 Jahren: Robert Walser. |
Endlich habe ich Carl Seeligs "Wanderungen mit Robert Walser" ganz gelesen. Seelig, ein reicher Erbe, war Schriftsteller, aber kein grandioser. Lebenslänglich gelüstete ihn nach der Nähe anderer Literaten - für einige wurde er zum Verleger, Freund, Förderer. So auch für Walser, der 1936, als der Kontakt zustandekommt, in der Heil- und Pfleganstalt in Herisau sitzt. In den nächsten zwei Jahrzehnten, bis Walser am Weihnachtstag 1956 stirbt, ziehen die beiden Männer regelmässig zu den unglaublichsten Wanderungen aus. Davon handelt das Buch, indem es summarisch jede Route und die Erlebnisse ihr entlang rekapituliert. Vor allem aber fasst Seelig jeweils zusammen, was Walser beim Gehen gesagt hat. Eine Stelle finde ich interessant, weil mich der hiesige Sozialcharakter beschäftigt und besonders der Typus des "Bünzli"; der Eintrag datiert vom 19. Oktober 1943. Nachfolgend das Zitat, Seelig referiert Walser:
Er verteidigt die Existenzberechtigung der Spiessbürger. Diese seien die Hüter der Zivilisation, die bei ihnen Unterschlupf habe. (..) Weil die Spiesser in ihrer kleinstädtischen oder dörflichen Beschränktheit für die grossstädtischen Literaturerzeugnisse kein Interesse zeigen, hätten sich die Literaten der Neuzeit an ihnen gerächt, indem sie sich über sie lustig machten und ihre Giftspritze auf sie richteten. (..) So enervierend dessen Verdummung manchmal wirke, so sei der Spiesser doch noch lange nicht so unerträglich wie der Literat, der glaube, ihm sei die Aufgabe übertragen worden, die Welt Mores zu lehren.
Ein ganz und gar wunderbares Buch, oder? Ich hab mir das hier notiert (Bibliothek Suhrkamp, Seite 97/98):
AntwortenLöschen“Ich halte es für ein Grundübel der neueren Schweizer Literatur, dass unsere Autoren die eigenen Leute so ostentativ als lieb und gütig herauskehren, als sei jeder ein Pestalozzi. Die unverdiente Geborgenheit, in der sich unsere Generation seit der Jahrhundertwende befindet, hat eine autorliche Oberlehrerhaftigkeit hervorgerufen, die auf mich manchmal geradezu abstossend wirkt. Jeder Dämon wird totgetätscht. Wie ganz anders war doch Gottfried Keller! Ich bin überzeugt, dass auch ein Schuft in ihm lebte. Der Max Wohlwend, das ist er selber. Ohne Abgründe bleibt jeder Künstler nur etwas Halbes, ein geruchloses Treibhausgewächs, und wie öde wirkt die Position der Weltverbesserer, die wir seit Keller und Meyer bezogen haben!"
Jawohl, Ronnie, den Keller als Schuft hab ich mir auch unterstrichen.
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