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Samstag, 3. Juni 2023

Stäfa muckt auf

Das Denkmal "Kettensprenger" von 1898 in Stäfa.
An der Zürcher Goldküste leben im 18. Jahrhundert viele Bürger der vifen Art, die Bücher lesen und Ideen von anderswo aufnehmen, die die herrschende Ordnung erstickend finden und darüber in der örtlichen Lesegesellschaft debattieren. Vier von ihnen, ein Ofenbauer, ein Bäcker, ein Wundarzt und ein Chirurg, verfassen 1794 eine Bittschrift an den Rat von Zürich, in der sie höflichst anregen, dem Volk mehr Freiheit zu gewähren. In Stäfa, damals der wichtigsten Zürcher Landgemeinde, wird dieses sogenannte Memorial speziell rege diskutiert. Die Obrigkeit schlägt bald zu, es gibt drei Landesverweise, viele Beteiligte müssen hohe Bussen zahlen, das Memorial, das die Regierung offiziell gar nie erreicht hat, wird verbrannt. Der Unmut wächst danach weiter, es kommt zu einer Solidarisierung, die Landschaft schliesst sich gegen die Stadt zusammen, was folgt, wird als "Stäfnerhandel" bekannt: Im Sommer 1795 spricht die Regierung einen Bann gegen Stäfa aus, verbietet den Verkehr mit dem Ort, flugs wird dieser militärisch besetzt. Verhaftungen, Verhöre, Folter, schliesslich die Gerichtsurteile, sechs Hauptangeklagte werden zuerst zum Tode verurteilt, worauf die Urteile in lebenslange Haft umgewandelt werden. Weitere 200 Leute werden mit empfindlichen Sanktionen bedacht. Stäfa verliert die Selbstverwaltungsrechte, ist wirtschaftlich ruiniert, muss wie andere Gemeinden in einem demütigenden Unterwerfungsritual der Stadt Zürich huldigen. Was für eine deprimierende Geschichte zu Ende des Ancien Régime, das offenbar unfähig zum Wandel ist! 1798 bringen französische Truppen der Eidgenossenschaft dann den Umsturz, die Helvetische Republik entsteht, eine neue Zeit beginnt. Johann Jakob Bodmer aus Stäfa, einer der Hauptangeklagten im Stäfnerhandel, wird im Jahr des Franzoseneinfalls rehabilitiert. Am 12. April eröffnet er als erster Präsident und Abgeordneter aus Zürich den helvetischen Senat. Vorgestern war ich in Stäfa essen und fotografierte am See das Denkmal zu Ehren der Leute, die sich hier einst auflehnten.
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