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Freitag, 4. Dezember 2020

Frau Orb

Oh, ein Orb! (Foto: Balliballi/Wikicommons)
"Oh, ein Orb!", rief die Frau neben mir begeistert. Sommer wars, nach einer langen Bergwanderung hatte ich in Preda den Zug heimwärts bestiegen. Doch dann legte ein Blitz die Linie lahm, so dass wir in Tiefencastel auf den Ersatzbus wechseln mussten. Um mir die Zeit zu vertreiben, schaute ich mir im Bus nach Chur auf meinem Handy die Fotos an, die ich während der Wanderung gemacht hatte. Und die Frau neben mir, die schaute sie offenbar auch an. Und entdeckte dabei auf einem der Fotos einen Orb, wie sie mir mitteilte. Das Wort war mir neu, doch erklärte sie es mir in den nächsten zwanzig Minuten mit Enthusiasmus und übersah dabei meine Mimik, die ausdrückte, dass ich ihre Ausführungen absurd fand. Ein Orb sei nicht nur ein Lichtfleck auf einem Foto, sagte sie. Ein Orb sei eine Botschaft aus dem Jenseits, meist komme sie direkt vom Erzengel Michael. Sie habe das gründlich recherchiert und auch mit einer Amerikanerin Kontakt gehabt, die weltweit als Orb-Spezialistin gelte. Der Orb auf meinem Foto sei auffällig gross, sagte die Frau. Das sei eine besonders klare Botschaft. Meine Widerrede, dass es sich bei Orbs, auch "Geisterflecken" genannt, um ein optisches Phänomen handelt, bei dem Staubteilchen zwischen der Kamera und dem Motiv Licht reflektieren: Diese Widerrede liess meine Sitznachbarin nicht gelten. Was der Orb auf meinem Foto bedeutete, was mir also der Erzengel mitteilen wollte, erfuhr ich von ihr freilich nicht. Vermutlich fühlte sie sich von mir nicht ernstgenommen.

PS: In der deutschsprachigen Wikipedia unter "Orb" findet sich die Eso-Theorie nicht. Hingegen in der englischsprachigen.

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